Liebesnaehe
sitzen, ach, ich freue mich so darauf, mit Dir zusammen bei diesem herrlichen Wetter auf der großen Terrasse zu sitzen. Bist Du schon schwimmen gewesen?
– Ja, antwortet sie, und ich behaupte jetzt einmal stolz und selbstbewusst: Niemand schwimmt so gelöst und entspannt wie ich.
– Wie bitte? Wie kommst Du denn darauf?
– Niemand schwimmt so gelöst und entspannt, Du kannst es mir glauben. Ich habe hier im Hotel nämlich
bereits einen Verehrer, der es mir auch schon schriftlich bestätigt hat.
Sie holt den kleinen Zettel aus einer Tasche ihres Kleides und legt ihn auf die Verkaufstheke, dann setzt sie ihren Rundgang durch die Buchhandlung fort. Sie bemerkt, dass der Zettel Katharinas Neugierde erregt, sie hat ihn in die Hand genommen, und nun steht sie da und liest ihn anscheinend immer wieder.
– Woher hast Du das?
– Der Zettel steckte in der Rückenlehne einer Parkbank, direkt oberhalb des Pools.
– Er war dort einfach so deponiert? Und Du weißt nicht, wer ihn dorthin gesteckt und wer diese Zeilen geschrieben hat?
– Nein, das weiß ich nicht.
– Wie seltsam!
– Ja, nicht wahr?
– Und Du hast wirklich nicht die geringste Ahnung, wer das getan haben könnte?
– Na hör mal, ich bin kaum eine Stunde hier und in diesem Hotel noch kaum einem Menschen außer Dir begegnet – wie soll ich da ahnen, wer das geschrieben hat?
– Da hast Du recht, Du kannst es nicht ahnen.
– Ich kann es nicht ahnen, aber Du könntest es, Du kennst die Hotelgäste doch gut.
– Ich?! Wieso ich?! Nein, ich weiß das auch nicht.
– Katharina?!
– Was ist, Jule?
– Katharina, verschweigst Du mir etwas?
– Aber Jule! Warum sollte ich Dir etwas verschweigen?
Warum sollte ich denn so etwas tun? Dafür gibt es doch gar keinen Grund.
– Stimmt. Eigentlich gibt es dafür keinen Grund.
Es ist einen Moment sehr still. Sie geht weiter langsam durch den Raum, nimmt hier und dort ein Buch in die Hand und blättert darin. Ihr fällt auf, dass Katharina noch immer den Zettel in der Hand hält und darauf starrt, als wäre das Geschriebene schwer zu entziffern. Sie fragt aber nicht weiter nach, es ist ihr unangenehm, schließlich ist sie gut mit Katharina befreundet, und sie möchte nicht, dass es gleich zu Beginn ihres Aufenthaltes eine Missstimmung gibt.
Deshalb geht sie länger durch den Raum als sie eigentlich vorhatte, sie kann sich aber nicht richtig konzentrieren, so dass sie die Buchtitel kaum zur Kenntnis nimmt und in jedem Buch nur ein paar Zeilen liest. Kaum gelesen, verschwinden diese Zeilen aber sofort wieder aus ihrem Gedächtnis, denn dieses Gedächtnis hat momentan vor allem mit einem einzigen Text zu tun: Wer ist diese Schwimmerin …?
Schließlich hält sie es nicht mehr aus und geht zu Katharina zurück, die noch immer auf den Zettel schaut.
– Na sag schon, was ist mit dem Text? Erkennst Du die Handschrift? Oder fällt Dir sonst etwas Besonderes auf?
Katharina reagiert einen Moment nicht, dann sagt sie leise:
– Mir fällt auf, dass der Schreiber anscheinend nicht an einen Adressaten denkt. Schließlich hätte er doch auch
schreiben können Wer sind Sie, schöne Schwimmerin? Oder Wer bist Du, schöne Schwimmerin? Stattdessen schreibt er Wer ist diese Schwimmerin? , als schriebe er das alles nur in etwas nachdenklicher Manier in ein Notizbuch oder ein Tagebuch. Wenn er das alles aber nur für sich selbst notiert, warum behält er seine Zettel nicht für sich? Ich verstehe das nicht.
– Ach, Katharina, was redest Du da? Wer sind Sie, schöne Schwimmerin? … – wer schreibt denn so etwas? So etwas schreiben doch nur peinliche Figuren, die sich mit Schmeicheleien aufspielen. Mein Verehrer will mir aber nicht schmeicheln, mein Verehrer ist sachlich und hält nur ganz nüchtern fest, was er beobachtet hat. So einfach ist das.
– So einfach, Jule, kommt es mir aber nicht vor. Es könnte nämlich auch sein, dass all diese Sachlichkeit nur gespielt ist und in Wahrheit etwas anderes dahintersteckt.
– Das ist mir zu kompliziert, Katharina. Ich habe Hunger, ich möchte jetzt mit Dir zu Mittag essen. Komm, lass uns auf die schöne Terrasse gehen, da können wir uns weiter unterhalten.
Sie greift nach dem Zettel und steckt ihn in ihre Tasche. Dann nimmt sie die ältere Freundin an der Hand und zieht sie wie ein kleines Kind, das noch etwas Widerstand leistet, zur Tür. Katharina lacht und tut wahrhaftig so, als müsste man sie mit sanfter Gewalt aus der Buchhandlung führen, dann aber
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