Liebesnaehe
Gerichte kommentiert und dass sie nun gemeinsam überlegen, was sie bestellen. Und was würde er selbst jetzt bestellen?
Er stutzt einen Moment, dann gibt er dem Barkeeper ein Zeichen und lässt sich ebenfalls die Speisekarte bringen. Der Barkeeper nickt kurz und kommt sofort mit der Karte zu ihm, alle Gerichte können auch hier drinnen, in der Hotelbar, serviert werden, das bekommt er jetzt ausdrücklich zu hören, so dass auch er jetzt nickt, als hätte er wahrhaftig vor, bei bestem Wetter hier in der Hotelbar zu speisen.
Um den Barkeeper aber etwas auf Distanz zu halten, bestellt er ein Glas Sekt und liest dann die Karte langsam von oben nach unten, während er darüber nachdenkt, was Katharina der Schwimmerin wohl gerade empfiehlt. Einen Feldsalat mit frischen Steinpilzen? Ja, gut möglich. Stockfisch mit gegrilltem Gemüse? Vielleicht, jedenfalls nicht unwahrscheinlich. Lammhüfte mit Rosmarinkartoffeln? Nein, bestimmt nicht.
In München hat er manchmal mit Katharina zu Mittag gegessen, meist sind sie in eine nahe Brauereiwirtschaft gegangen und haben eine Wurst mit Gurken-Kartoffelsalat bestellt und ein frisches, schäumendes, goldgelbes Helles dazu getrunken. Katharina mag einfache, würzige Speisen, mit einem guten Kartoffelsalat kann man sie mehr locken als mit jeder italienischen Gemüse-Vorspeise, die in irgendeinem Sud von Olivenöl schlummert und letztlich nach kaum etwas anderem schmeckt als nach ebendiesem Öl. Überhaupt hat er, jetzt fällt es ihm auf, mit Katharina fast immer nur Bier getrunken und fast niemals Wein, ja, es stimmt, sie lieben beide ein gutes Bier. Katharina hat ihm einmal erzählt, dass sie sich mit ihrem vor einigen Jahren verstorbenen Mann auch immer mittags zu einem
Bier und einer einfachen Speise getroffen habe. Katharinas längst verstorbener Mann … – seltsam, dass er jetzt an ihn denkt. Haben sie je länger über ihn gesprochen? Hat sie je ausführlicher von ihm erzählt?
Seltsam, nein, er kann sich nicht daran erinnern, dass sie sich länger über ihren Mann unterhalten hätten, er weiß kaum etwas von ihm, nein, er weiß eigentlich nur, dass Katharinas Mann ein bekannter Galerist war und eine große Galerie im Zentrum von München besaß.
Er legt die Speisekarte einen Moment zur Seite und holt sein Notizbuch aus der Tasche. Dann notiert er: Katharinas Mann … – wir haben uns fast nie über ihn unterhalten. Warum nicht? Warum war sie, was dieses Thema betraf, immer so schweigsam?
Er schaut auf und sieht, dass Katharina und die schöne Schwimmerin jetzt das Essen bestellen, und plötzlich weiß er genau, dass Katharina zwei Gläser Bier bestellt und einen Feldsalat mit Steinpilzen und schließlich noch Stockfisch mit gegrilltem Gemüse. Genau in diesem Moment bringt ihm der Barkeeper das Glas Sekt, er würde es jetzt am liebsten wieder zurückgehen lassen und ebenfalls ein eiskaltes Bier bestellen, aber nein, so eine Korrektur will er sich nicht erlauben, zumal er bereits einmal eine Bestellung korrigiert und sich ein zweites Glas Campari ohne Eis hat bringen lassen. Und überhaupt! Campari, Sekt, Bier – was für ein Durcheinander …, ja, er ist etwas durcheinander, es gibt keine Linie in seinen Aktionen, er sollte sich jetzt zusammennehmen.
Er steckt das Notizbuch wieder ein und legt die Speisekarte zur Seite, auch die beiden Frauen haben ihre Karten zur Seite gelegt, und Katharina ist jetzt aufgestanden, anscheinend, um kurz zur Toilette zu gehen, jedenfalls sitzt die Schwimmerin jetzt allein da. Sie fährt sich mit der Rechten durchs Haar und schaut in die Höhe, sie blickt hinauf zu den Spitzen der sehr nahen Gebirgsformationen, sie blinzelt etwas, da das Sonnenlicht von diesen Höhenkämmen aus hinunter ins Tal schießt. Dann aber dreht sie sich plötzlich um und wendet sich ein wenig zur Seite, und er erkennt, dass sie jetzt in diese Hotelbar schaut, sie schaut direkt hinein in diese Bar, und sie erkennt ihn, ja, sie erkennt ihn genau.
Sie schauen sich beide an, plötzlich wird ihm ganz heiß, verdammt, warum dreht sie sich nicht wieder um und warum sitzt er da wie eine erstarrte Skulptur, anstatt eine Zeitung oder ein Buch in den Händen zu halten? So aber, ganz ohne Zeitung, Buch oder einen anderen Gegenstand, sieht es beinahe so aus, als sei er die ganze Zeit mit nichts anderem beschäftigt gewesen als damit, die beiden Frauen draußen auf der Terrasse zu beobachten.
Sie lächelt ein wenig, sie lächelt ihn an, mein Gott, sie glaubt wohl zu
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