Liebesnaehe
Informationen in seinem Gedächtnis. Katharinas Mann ist also vor etwa drei Jahren gestorben, sogar das genaue Datum ist zu finden und außerdem die genaue Todesursache: Herzversagen. Er stöbert noch ein wenig in den verschiedensten Artikeln und Nachrichten herum, dann rekapituliert er: Katharinas Mann Georg ist an einem plötzlichen Herzversagen gestorben, es war während eines Aufbruchs zu einer Reise nach London, anscheinend ist er in einem Taxi gestorben, völlig unerwartet.
Katharina und Georg scheinen keine Kinder gehabt zu haben, jedenfalls ist von Kindern nirgends die Rede. Sonderbar, dass er mit Katharina nie darüber gesprochen hat,
sie haben nie über ihren Mann oder über etwas Familiäres gesprochen, nein, sie haben sich nie allzu privat unterhalten. Aber worüber haben sie sich dann unterhalten? Über Bücher, vor allem darüber, und dann und wann über das, was Katharina meist Das Aktuelle vom Tag genannt hat. Das Aktuelle vom Tag – das waren neue Nachrichten von Theateraufführungen, Musik oder auch Filmen. Katharina mag es sehr, sich mit ihm darüber zu unterhalten, und vor allem mag sie es, seine Meinung zu hören. Na los, raus damit! sagt sie in solchen Fällen, und dann freut sie sich, wenn er mit einer möglichst eindeutigen und prononcierten Meinung auftrumpft, mit ein paar zupackenden Sätzen, mit etwas Forschem oder Harschem, mit ein paar Bemerkungen, die sie zum Lachen bringen oder ihren Widerspruch provozieren.
Mit niemandem hat er sich so gestritten wie mit Katharina, sie haben es beide immer genossen, das heftige, scharfe Streiten, das Auf-die-Spitze-Treiben eines Disputs, und sie haben dabei oft Tränen gelacht, weil sie das Ganze immer auch als eine Inszenierung begriffen haben, als theatralische Szene, als große Bühne, Oper, als Schlachtfest der Worte!
Er hält inne und starrt auf den Bildschirm. Warum eigentlich hat er jetzt gerade begonnen, einige Auskünfte über Katharinas Mann einzuholen? Vielleicht, weil er auf diesem Weg einer Spur folgt, die zu Katharinas Privatleben führt. Und warum interessiert ihn plötzlich dieses Privatleben, das ihn doch früher nie interessiert hat, um seine Verbindung zu Katharina damit nicht zu belasten? Es interessiert ihn, weil er den Verdacht nicht los wird, dass
Jule Danner mehr ist als Katharinas gute Bekannte. Gerade eben, im Hotelflur, auf dem Weg zu ihrem Zimmer, hatte er einen Moment sogar den Verdacht, sie könne Katharinas Tochter sein, so verwandt und miteinander vertraut erschienen ihm die beiden. Anscheinend ist das nun aber doch eine falsche Fährte, ja, er hat sich wohl etwas vorgemacht, oder besser, die Szene draußen im Freien hat ihm wohl etwas vorgemacht.
Er nimmt sich vor, Katharina möglichst bald danach zu fragen, ob sie Kinder hat, hier draußen in der Einsamkeit herrschen andere Regeln und Gesetze, hier geht es nicht um Das Aktuelle vom Tage , sondern hier geht es um Tieferes, um die letzten Geheimnisse! Er lacht kurz auf, als er das denkt, er kommt sich wahrhaftig wie ein Spurensucher auf labyrinthischen Wegen vor, und er glaubt jetzt zu ahnen, dass diese Wege letztlich auch etwas mit ihm zu tun haben. Das alles ist aber vorläufig noch reine Spekulation, ja er weiß nicht einmal, was er als Nächstes tun könnte, um die labyrinthischen Wege ein wenig mehr zu erhellen. Er nimmt sich vor, auch weiterhin nichts zu übereilen, sondern Schritt für Schritt vorzugehen und dabei seiner Intuition zu folgen.
Langsam greift er wieder nach seinem Notizbuch, fährt den Laptop herunter, schiebt ihn beiseite und notiert: Katharinas Mann Georg ist vor etwa drei Jahren an plötzlichem Herzversagen gestorben. Anscheinend passierte das alles in einem Münchener Taxi, während eines Aufbruchs zu einer Reise nach London. Kurze Zeit später habe ich zum ersten Mal ihre Buchhandlung besucht. Sie trug wochenlang Schwarz, aber ich habe
mir nichts dabei gedacht. Ich habe gedacht, sie möge Schwarz, ich habe damals gedacht, Schwarz sei ihre Farbe.
Er sitzt noch eine Weile still am Schreibtisch und liest in den Notizen, die er sich seit seiner Ankunft in diesem Hotel gemacht hat. Das liest sich beinahe wie eine Geschichte, denkt er, aber ich verstehe noch nicht, wie ihre Figuren miteinander zusammenhängen. Darum sollte ich mich als Nächstes kümmern, ja, ich sollte versuchen, etwas über diese Zusammenhänge herauszubekommen.
Er steht auf und geht ans Fenster. Durch den dünnen Vorhang blickt er hinunter auf die weiß gedeckten
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