Liebesnaehe
nicht im Traum daran gedacht, mich diesem Mann zu nähern. Er hatte eine fleißige Frau, die ich mochte, und er hatte sechs Kinder, sechs!, stell Dir das vor! Manchmal tauchten sie in kleinen Gruppen in der Galerie auf, tadellos gekleidet, hübsch und stinknormal, obwohl sie doch laufend mit Künstlern zu tun hatten, von denen viele alles daransetzten, ihnen den Kopf zu verdrehen. Ich habe das alles aus der Ferne beobachtet, aber ich habe mir dazu nicht viele Gedanken gemacht.
– Das heißt, Du hast ihn bereits viele Jahre gekannt, bevor es ernster wurde?
– Ja, genau. Es wäre aber nie ernster geworden, wenn er nicht eines Tages in meine Buchhandlung gestürmt wäre. Er war zufällig in der Nähe, und er suchte ein bestimmtes Buch, das ich auch wirklich vorrätig hatte. Wir unterhielten uns eine Viertelstunde, dann steckte er das Buch ein und verschwand. Kaum zehn Minuten später kam er wieder. Es war sehr seltsam, weißt Du, er kam wieder und setzte sich, und dann fragte er, ob er eine Zigarre rauchen
dürfe, und da haben wir dann zusammen geraucht, er seine Zigarre und ich ein Zigarillo. Ich habe ihm Tee angeboten, aber er mochte keinen Tee, und da habe ich einen Portwein ausgeschenkt, und wir haben einen Portwein getrunken. Wir haben uns sehr gut, ja, wirklich sehr gut unterhalten, und ich glaubte plötzlich zu begreifen, welcher Mann da vor mir sitzt. Von einer Minute auf die andere habe ich mich in ihn verliebt, und ich weiß, dass es bei ihm genauso war. Nach kaum einer Stunde habe ich die Buchhandlung geschlossen, und wir sind zusammen essen gegangen. Er liebte es, in einem Brauhaus essen zu gehen, eigentlich mochte er keinen Wein, er trank Bier, Unmengen von Bier, ich hatte noch nie einen meiner doch vielen Bekannten so viel Bier trinken sehen. Und ich weiß noch genau, dass er zum Bier Milzwurst bestellte, ja, so war es, er bestellte »Milzwurst abgebräunt«. Ich hatte so etwas noch nie gegessen, ich stellte mir etwas Grausames darunter vor, doch er bestellte es einfach auch für mich, und es schmeckte fantastisch. Ich bin nicht mehr in die Buchhandlung zurückgegangen, und am frühen Abend haben wir uns ein Hotelzimmer genommen und unsere erste gemeinsame Nacht in einem Münchener Hotelzimmer verbracht.
Wieder ist es einen langen Moment still. Er schweigt, er möchte ihr Erzählen jetzt nicht unterbrechen. Als der Feldsalat mit Steinpilzen serviert wird, lässt er ihn sogar stehen, als gehörte es sich nicht, jetzt allein etwas zu essen.
– Nun iss doch, sagt sie da, warum isst Du denn nicht?
Er nickt und zieht seinen Stuhl näher an den Tisch. Dann greift er zur Gabel und beginnt zu essen. Der Feldsalat ist mit einem leichten, sehr fruchtigen und doch scharfen Essig angemacht und daneben liegt ein kleiner Haufen Steinpilze, anscheinend in Butter gebräunt. Der Salat schmeckt ihm, dann wechselt er zu den Steinpilzen, sie schmecken nussig und erdig, lange hat er nicht mehr so gute Steinpilze gegessen.
– Das hätte Georg wohl auch bestellt, sagt Katharina und lacht.
Er ist etwas erleichtert, dass sie jetzt lacht, denn er weiß, dass ihr Erzählen den Ausgang der Geschichte noch ausgeblendet hat. Er will aber nicht weiter so verstockt dasitzen, deshalb fragt er nach:
– Ich habe von alledem, was Du erzählst, natürlich nicht das Geringste gewusst. Ich erinnere mich nur gut, dass wir etwa einen Monat nach meinem ersten Besuch in Deiner Buchhandlung ebenfalls in einem Brauhaus essen gegangen sind und dass Du damals Bier und Milzwurst, abgebräunt, bestellt hast.
– Ach ja, habe ich das?
– Ja, das hast Du, ich erinnere mich nämlich so genau, weil auch ich damals noch nie Milzwurst gegessen hatte. Ich habe jedenfalls damals irgendetwas anderes bestellt, und als Du Deine Milzwurst gegessen hattest, habe ich mir auch eine bestellt, weil ich unbedingt wissen wollte, wie so etwas schmeckt.
– Und?! Und es schmeckte fantastisch, habe ich recht?
– Absolut. Ich habe mich danach übrigens auch genauer erkundigt, woraus so eine Wurst besteht, und ich habe
herausbekommen, dass wirklich die Milz vom Kalb dazu verarbeitet wird …
– Die Milz und Kalbsbries, vergiss das nicht, das Bries macht die Wurst luftig und leicht, und dazu passt natürlich ein kleiner Würfel Butter, der das Ganze anbräunt, so dass es einen intensiven Geschmack bekommt.
Er isst langsam weiter und nimmt wieder einen Schluck Bier. Jetzt sind die Erinnerungen an ihre gemeinsamen Münchener Mahlzeiten plötzlich wieder da.
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