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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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seltsamer Kunde gewesen sein.
    – Damals warst Du der seltsamste, den ich je gehabt hatte. Ich habe Dich heimlich beobachtet, und ich habe mich laufend gefragt, was bloß mit Dir los ist. Wieso durchstreift ein Mensch bei bestem Spätsommerwetter in einem viel zu warmen, schwarzen Mantel ausgiebig eine Buchhandlung, anscheinend ohne die geringste Neigung, mit der Buchhändlerin Kontakt aufzunehmen und wenigstens einmal irgendeine Frage zu stellen oder irgendeine Bemerkung zu machen? Als Du Dich nach Deinem Endlosspaziergang wieder der Tür genähert hast, habe ich es nicht mehr ausgehalten, erinnerst Du Dich?
    – Ja natürlich, ich erinnere mich. Du kamst zu mir und hast mich gefragt, ob ich mit Dir einen Tee trinken wolle.
    – Richtig, und Du hast sofort »nein, danke!« gesagt, und das so bestimmt, als hätte ich einen ganz und gar unmöglichen Vorschlag gemacht.
    – Ich weiß, ja, ich erinnere mich, und als ich »nein, danke!« gesagt habe, hast Du reagiert: »Ich würde mich aber sehr freuen , wenn Sie mit mir einen Tee trinken würden, verstehen Sie ?«

    – Ja, das habe ich wirklich gesagt, mit genau dieser Betonung, wie schön, dass Du Dich so gut erinnerst! Du hast mich noch immer so angeschaut, als gehörte sich dieser Vorschlag nicht, da bin ich einfach hinüber zu dem kleinen Teetisch gegangen und habe zwei Tassen mit Tee gefüllt. Und dann habe ich mich an den Tisch gesetzt und auf Dein Kommen gewartet.
    – Richtig, und da habe ich mich wahrhaftig getraut.
    – Ja, Du hast Dich getraut, das ist genau das richtige Wort, mir ging es damals schon durch den Kopf, dieses Wort: Sich trauen, er traut sich, als seist Du noch ein kleines Kind, dem man gut zureden musste, sich so etwas zu trauen.
    – Vielleicht war es ja so, vielleicht war ich damals ein kleines Kind, dem man gut zureden musste.
    – Wie meinst Du das? Ich verstehe Dich nicht.

    Er rückt seinen Stuhl ebenfalls etwas zurück in die Sonne, als er sieht, dass der Barkeeper sich nähert und ihm ein großes Helles bringt. Der Barkeeper stellt das Glas auf den Tisch und macht eine freundliche Bemerkung, erwähnt aber zum Glück nicht, dass sie sich vor Kurzem in der Hotelbar begegnet sind und dass er ihm dort die Speisekarte gebracht hat.

    Katharina hat weiter die Augen geschlossen und reckt das Gesicht den Sonnenstrahlen entgegen. Er nimmt einen großen Schluck Bier, dann sagt er:
    – Übrigens trugst Du damals ebenfalls Schwarz, Du trugst ein schwarzes Kleid, ohne jeden Schmuck. Wieso trägt diese Frau keinen Schmuck?, habe ich mich ernsthaft
gefragt, weil ich das Gefühl hatte, dass der Schmuck richtiggehend fehlte, und weil ich gleichzeitig vermutete, dass Schmuck Dir gut stehen würde.
    – Weißt Du inzwischen, warum ich keinen Schmuck trug?
    – Nein, woher sollte ich das wissen?
    – Ich trug keinen Schmuck, weil mein Mann wenige Wochen zuvor gestorben war.

    Er setzt das Glas vorsichtig auf dem Tisch ab, er schweigt, er wartet darauf, dass sie die Augen öffnet und ihn anschaut. Es ist einen langen Moment sehr still, dann öffnet sie wirklich die Augen und schaut ihn an:
    – Hast Du wirklich nichts vom Tod meines Mannes gewusst?
    – Nein, antwortet er, damals nicht. Ich kannte natürlich seinen Namen, wer kannte ihn in München nicht, aber ich wusste nicht, dass ihr verheiratet wart, ja, ich wusste nicht einmal, dass ihr ein Paar wart.
    – Wir waren damals auch erst seit Kurzem verheiratet, unsere Beziehung war ein großes, schwieriges Drama, verstehst Du?
    – Nein, sagt er, ich weiß nicht, was Du meinst.

    Sie schaut ihn weiter an und rückt mit ihrem Stuhl etwas näher zu ihm.
    – Georg hatte sehr früh geheiratet, mit kaum zwanzig Jahren. Kurz nach seiner Heirat hat er die Galerie gekauft und daraus dann in vielen Jahrzehnten eine der ersten Galerien Münchens gemacht. Wer kannte ihn nicht …, ja, da hast Du recht. Auch Menschen, die mit Kunst nichts
zu tun hatten und nicht jede Woche zu einer Vernissage gingen, kannten seinen Namen. Er war eine Kapazität, und er war ein unglaublich lebendiger, einfallsreicher, ach was, ein vor Einfällen sprühender Mensch, der einen sofort in seinen Bann zog.
    – Heißt das, Ihr habt Euch erst sehr spät kennengelernt?
    – Nun ja, wir kannten uns flüchtig, schließlich besuchte ich dann und wann seine Galerie, wir haben uns aber nie länger allein unterhalten, immer waren andere Menschen dabei. Ich habe ihn ein wenig angestaunt und bewundert, das war alles, aber ich habe natürlich

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