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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Früher haben sie sich aber über ganz andere Themen unterhalten, früher gab es solche Gespräche nicht.
    – Und wie ging es dann weiter, mit Dir und Georg? fragt er vorsichtig.
    – Es ging so weiter, dass die Geschichte sofort unglaublich Fahrt aufnahm und dann sogar ein rasantes Tempo bekam. Georg war kein Mann, der etwas für sich behalten konnte, nein, wirklich nicht. Also stürzte er sich in diese neue Beziehung, die übrigens die erste und einzige war, die er nach seiner Jahrzehnte zurückliegenden Heirat eingegangen ist. Ich sage das, weil immer gemunkelt wurde, er habe diese oder jene Beziehung gehabt, er hatte aber solche Beziehungen nicht, er war dafür überhaupt nicht der richtige Typ. Eigentlich lebte er komplett im Gehäuse seiner Familie, er kümmerte sich um seine Kinder, und er hing an seiner Frau. Als wir uns ineinander verliebten, habe ich keine Sekunde daran gedacht, dass er einmal den Wunsch haben würde, mit mir zusammenzuleben. Ich hatte das Liebesprojekt unterschätzt, ich hatte mir nicht vorstellen können, wie er so etwas anging und vorantrieb.
    – Warst Du davor eigentlich selbst einmal verheiratet?

    – Nein, ich war nie verheiratet, und ich hatte und habe keine Kinder. Ich habe ans Heiraten und Kinderkriegen niemals gedacht. Ich hatte einige Beziehungen, die zum Teil auch länger hielten, und ich hatte einen sehr großen Freundeskreis, der sich in meiner Buchhandlung traf. Im Grunde war ich mit dieser Buchhandlung verheiratet und mit all den Menschen, die mit ihr zu tun hatten. Ich führte ein geselliges, munteres Leben, das meinen damaligen Wünschen vollkommen entsprach. Es hätte viel passieren müssen, dass ich ein solches Leben um einer Heirat willen aufgegeben hätte.
    – Und dann hast Du doch geheiratet …
    – Na ja, so einfach war das nicht. Zunächst ist Georg zu Hause ausgezogen und hat sich in einem Hotel einquartiert. In den Münchener Kreisen, die in seiner Galerie verkehrten, war das ein Skandal. Was aber war der Skandal? Nicht sein Verhalten erschien skandalös, der Skandal war die Frau, die der Grund dafür war, dass er sich von seiner Familie trennte. Ich also war der Skandal, und ich habe es zu spüren bekommen, dass ich es war. Anonyme Anrufe, Rüpeleien, Besucher in meiner Buchhandlung, die mich übel beschimpften – das ging wochenlang so.
    – Aber Du hast Dich nicht beirren lassen?
    – Natürlich nicht. Ich habe nur oft gedacht, dass es am Ende Georg zu viel wird, dass er es nicht mehr erträgt und dass es ihm auch gesundheitlich schadet. Schließlich dauerte der ganze Prozess bis hin zur Scheidung einige Jahre.
    – Seine Frau hat um ihn gekämpft?
    – Ich glaube, seine Frau war nicht entscheidend, ich glaube sogar, dass seine Frau vom ersten Moment an verstanden
hat, wie ernst es Georg mit der Geschichte war. Ganz anders sahen das seine sechs Kinder, die Kinder haben gekämpft, die Kinder wollten um jeden Preis, dass der Vater seine führende Rolle weiterspielte.
    – Wie alt waren die Kinder?
    – Na, sie waren alle mindestens dreißig. Die meisten von ihnen hatten längst eigene Partner und Familien und wohnten nicht mehr im Elternhaus. Sie wollten ihren Vater aber nicht ziehen lassen, sie wollten sich das schöne Bild erhalten, das sie sich als Kinder von ihm gemacht hatten. Deshalb übten sie Druck auf die Mutter aus, dem Vater die Scheidung so schwer wie möglich zu machen.
    – Hat seine Arbeit in der Galerie nicht darunter gelitten?
    – Keine Spur, ganz im Gegenteil, während der Scheidungsphase lief er zur Hochform auf, als hätten seine Energien sich noch einmal verdoppelt. Wir waren damals viel zusammen unterwegs, wir waren auf Kunstmessen und haben viele seiner Künstler jeweils zu Hause besucht, wir haben zusammen Kataloge und Bücher gemacht, wir waren ein Paar, von dem viele, die uns zum ersten Mal sahen, fest glaubten, dass wir seit Jahrzehnten zusammenlebten. Wie macht ihr das, nach so vielen Jahren noch ein so glückliches Paar zu sein, hat mich damals eine neugierige Freundin eines Künstlers gefragt. Ich musste ihr erzählen, dass wir noch nicht lange zusammenlebten, sie hat es mir nicht glauben wollen.

    Er hört ihr weiter gespannt zu, denn die ganze Zeit über hat er das Gefühl, in der Geschichte, die sie ihm zum ersten Mal erzählt, am Ende ebenfalls eine Rolle zu spielen,
ja, er glaubt sogar, dass auch die schöne Schwimmerin in dieser Geschichte eine Rolle spielt. Das Spiel geht weiter, denkt er und korrigiert sich rasch, denn

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