Liebesnaehe
leichten Sandalen an, die ebenfalls am Beckenrand liegen. Er schwimmt allein weiter, während er beobachtet, dass die asiatische Trommelmusik, die anscheinend über ihren Laptop eingespielt wird, allmählich leiser wird. Als es beinahe still ist, geht sie zur Video-Kamera und stellt sie ab. Dann beginnt sie, die Geräte in eine große Tasche zu packen, es dauert nur ein paar Minuten.
Als sie den Pool verlässt und wieder nach drinnen geht, legt er sich auf den Rücken und schwimmt in Rückenlage noch etwa eine Viertelstunde. Er fühlt sich jetzt hellwach und gut, und er spürt eine starke innere Freude wie seit Langem nicht mehr.
16
ALS SIE zu ihrem Hotelzimmer zurückkehrt, ist der Reinigungsdienst schon auf dem Flur unterwegs. Sie spricht kurz mit der jungen Frau und sagt, dass sie das Zimmer nicht zu reinigen oder aufzuräumen brauche. Sie hat viel zu arbeiten, deshalb ist es am besten, wenn man ihr Zimmer überhaupt nicht betritt, sie hat ja alles, was sie braucht, und wenn etwas fehlt, wird sie sich melden. Die junge Frau nickt, es ist ihr anscheinend sehr recht, ein Zimmer weniger säubern und in Ordnung bringen zu müssen, zum Schluss des kurzen Gesprächs will sie aber noch wissen, ob ein Getränk in der Mini-Bar fehlt.
– Eine kleine Flasche Sekt, sagt Jule, und dann reicht ihr die junge Frau eine neue Flasche, und Jule nimmt sie in die linke Hand, während sie die Zimmertür aufschließt und dann mit ihrer Reisetasche im Innern verschwindet.
Sie muss das Gefühl haben, allein zu sein und nicht gestört zu werden, so etwas ist wichtig. Wenn sie das Rumoren der Reinigungsfrau hört und weiß, dass diese Frau irgendwann an ihrer Tür klopfen wird, kommt sie mit dem Projekt nicht voran. Das Projekt funktioniert nur, wenn ein vollkommener Rückzug garantiert ist. Keine Berührung mehr mit dem Außen, keine Eingriffe, keine Kontakte – am besten sollte es sehr still sein, so dass sie in Ruhe und ungestört darauf warten kann, was Geist und Körper als Nächstes hervorbringen. Denn darin besteht eben die Kunst: dem Geist und dem Körper die besten Bedingungen zu bieten, sie in eine gewisse Erregung
zu versetzen, sie für sich arbeiten zu lassen und zu beobachten, was sie jeweils an Unerwartetem und Neuem kreieren, Punkt, fertig, los.
Im Zimmer öffnet sie die Minibar und schiebt den Sekt in das kleine Gefrierfach, dann packt sie die Geräte aus ihrer Tasche und schaut sich einige Minuten lang die Video-Aufzeichnung ihrer Performance an. Sie ist sehr zufrieden, das Cover des »Kopfkissenbuches« deckt die Wasseroberfläche bis zu den Poolrändern ab, und als Schwimmerin ist sie unterhalb dieser Oberfläche ebenfalls gut zu erkennen.
Auch der Geliebte fügt sich ideal in das Bild, wie er knapp an ihr vorbeigleitet und sich dabei genau im richtigen Tempo bewegt. So erscheinen sie wahrhaftig wie ein Paar, das mit jeder Bewegung den erotischen Index vergrößert. Vor allem darauf aber kommt es ihr an: auf eine erotische und beinahe unerträgliche Spannung, die auf einer streng eingehaltenen Distanz der beiden Liebenden basiert.
Aus genau solchen Momenten nämlich besteht in ihren Augen das »Kopfkissenbuch«, ja, so hat sie es gelesen, denn ihre Lektüre empfand sie als hochgradig erotisch, ohne dass sie genau hätte sagen können, wodurch diese Erotik entstand. Durchschaut hat sie diese Geheimnisse also noch nicht, gerade deshalb hat sie ja die Inszenierungen ihrer Performance entworfen. Sie will das »Kopfkissenbuch« mithilfe ihres eigenen Körpers lesen, sie will an sich selbst spüren, aus welchen Ingredienzen diese geheimnisvolle asiatische Lektüre-Mixtur besteht.
Sie lässt die Geräte stehen und liegen und holt die kleine Flasche Sekt aus dem Gefrierfach. Sie gießt den gesamten Inhalt wie bereits gestern in ein großes Wasserglas und nimmt einen kräftigen Schluck. Dann legt sie sich mit dem Rücken auf das breite Bett und versucht, ein wenig zu entspannen.
Wie seltsam, dass er derart perfekt seine Rolle gespielt hat! Sie brauchte ihm nicht die geringsten Anweisungen zu geben, er fand den Zugang zu ihrer Inszenierung anscheinend intuitiv. Sie hatte so etwas bereits vorher geahnt, ja, sie hatte sich vorgestellt, dass er als der gute und genaue Beobachter, für den sie ihn hält, so reagieren würde. Ein Zuschauer, der das Video später zu sehen bekommt, wird annehmen, diese Szenen seien lange geplant und geprobt worden. Nichts da, so war es nicht, sie hat einen Raum entworfen und mit lauter
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