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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Hinweisen aufgeladen, und er hat diese Hinweise verstanden, kombiniert und sie als ein Ensemble gedeutet.

    Schade, dass er nicht auch die entsprechende asiatische Kleidung trägt, schade aber auch, dass sie ihn nicht in seinem Zimmer oder anderswo filmen kann, wenn er allein ist. Sie möchte ihn filmen, wie er das Bad betritt, duscht, sich ankleidet, etwas frühstückt. Sie möchte seine Haare streng nach hinten kämmen, so wie sie ihre eigenen Haare streng nach hinten gekämmt hat, und sie möchte, dass er einen schwarzen Kimono trägt.

    Sie ist von dieser Idee so besessen, dass sie die Rezeption anruft und nachfragt, ob es möglich ist, einen schwarzen
Kimono zu beschaffen. Die Frau an der Rezeption ist überhaupt nicht erstaunt, sondern bittet um ein wenig Geduld. Kaum fünf Minuten später meldet sie sich zurück mit der Nachricht, dass es im Hotel Kimonos in den verschiedensten Größen gebe, leider aber keine schwarzen. Stattdessen gebe es dunkelblaue und dunkelrote, sie ist begeistert und bittet darum, ihr eine kleine Kollektion in das Zimmer zu legen, sie brauche die Kimonos für ihre Arbeit.

    Sie trinkt das Glas Sekt aus und legt sich noch einmal aufs Bett. Ihre Ideen gehen jetzt mit ihr durch, sie kommt kaum hinterher und steht schließlich auf, um sich einige Notizen auf einem rasch herbeigeholten Block zu machen. Sie entwirft Szenen und Rollen, die ihr Geliebter spielen könnte: Der Geliebte schreibt einen Brief, der Geliebte wartet auf die Geliebte, der Geliebte durchstreift auf der Suche nach der Geliebten die Flure dieses Hotels, der Geliebte tritt mit einem kleinen, weißen Teller an ein Büffett und belegt den Teller mit Speisen, die er für die Geliebte sorgfältig ausgewählt hat, der Geliebte schickt ihr Musik, der Geliebte entfernt sich von diesem Hotel und ruft sie aus der Ferne zu sich, der Geliebte sitzt an der einen Seite eines großen, leeren Gastraumes und sie an der anderen, der Geliebte sucht die Toilette des Gastraumes auf, sie tut dasselbe, und sie küssen sich zum ersten Mal im Keller der Gaststätte, er ist auf dem Rückweg von der Toilette, sie auf dem Hinweg …

    Halt, stopp, es geht viel zu schnell. Sie atmet tief durch und ermahnt sich zur Konzentration. Es ist gut und schön, so viele Ideen zu haben, aber sie darf sich jetzt nicht allzu
lange in ihnen verlieren. Vor allem aber darf sie sich nicht an ihnen festkrallen und jetzt laufend darüber nachdenken, wie sie im Einzelnen zu verwirklichen wären.

    Das Projekt sollte seine Leichtigkeit und Lockerheit bewahren, und diese Vorgabe hat zur Folge, dass sie ihrem Geliebten auf keinen Fall von diesen Ideen berichtet. Ihr Geliebter sollte kein Schauspieler sein, das auf keinen Fall, ihr Geliebter sollte vielmehr hier und da eine Rolle in ihren Inszenierungen spielen, das aber nur, weil er eben kein Schauspieler, sondern ihr Geliebter ist.

    Sie will den Körper ihres Geliebten zusammen mit ihrem eigenen Körper zum Einsatz bringen, so versteht sie nun, nach einigem Nachdenken, ihr Projekt. Nicht einen Moment lang hatte sie bei ihrem Herkommen daran gedacht, dass es diese schöne Wende nehmen und sich auf diese Weise verändern und erfüllen würde. Sie hatte vorgehabt, das Projekt als Geschichte einer einsamen Frau zu inszenieren, die sich nach nichts mehr sehnt als nach der Gegenwart eines Geliebten. Nun aber bringt sie diese starke Sehnsucht zugleich mit ihrer möglichen Erfüllung ins Spiel, das ist etwas anderes, Größeres, von dem freilich noch nicht gesagt ist, ob es gelingt. Und wenn es gelingen würde?

    Sie durchkreist unruhig den Raum und schüttelt sich, durchströmt von einer kleinen Ekstase. Ja, sie spürt richtiggehend die heftigen Schauer, die diese Gedanken und Empfindungen in ihr auslösen. Denn wenn dieses Projekt gelingen würde, natürlich, wenn es gelingen würde …,
dann wäre ihr Geliebter am Ende des Spiels nicht mehr der Geliebte des »Kopfkissenbuchs«, sondern ihr einziger, wahrer Geliebter, dessen Einzigkeit und Wahrheit sich im gemeinsamen Spiel bewiesen hätte.

    Sie fragt sich, ob er das »Kopfkissenbuch« eigentlich kennt, ja, wie wäre es, wenn er es überhaupt nicht kennen würde? Er muss es nicht lesen, das nicht, aber er sollte den Entwurf des Projektes in seinen wichtigsten Zügen doch kennen. So hätte er die Chance, die von ihr entworfenen Szenen und Räume rascher zu verstehen und auf sie zu antworten. Was also soll sie tun? Sie denkt kurz nach, dann fällt es ihr ein: Sie wird ihm einen

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