Liebesnaehe
dass es ein sehr warmer Spätsommertag werden wird, wolkenlos, mit leuchtender Gebirgsbläue, vor lauter Vorfreude und Übermut kichert sie ein wenig, so dass er gleich vermutet, dass sie am Abend eine Verabredung hat. Ja, denkt er, das wird es sein, sie spricht so geschmeidig, und ihr Ton ist etwas zu hoch, sie hat den Arbeitstag schon verdrängt und ist innerlich längst auf die Vergnügungswelle des Abends aufgesprungen.
– Dann werde ich heute mal ein weißes Hemd und eine hellblaue Hose tragen, sagt er noch zum Schluss.
– Ich würde es genau umgekehrt machen, antwortet sie. Ein hellblaues Hemd und eine weiße Hose, mir würde das besser gefallen, aber ich will Ihnen nicht dreinreden.
Er bedankt und verabschiedet sich, dann eilt er zum Schrank und sucht nach einem hellblauen Hemd und einer weißen Hose, zum Glück hat er so etwas auch wahrhaftig dabei.
Er zieht sich an und überlegt, ob er irgendetwas mitnehmen sollte. Blumen?! Um Gottes willen! Die Klarinette? Auf gar keinen Fall! Aber was sonst?
Er schaut in der Minibar nach und entdeckt zwei kleine Flaschen Sekt, gut gekühlt. Er steckt sie in eine kleine Umhängetasche, das passt genau. Dann verlässt er den Raum und macht sich auf den Weg hinunter in das Foyer.
Er geht zu Fuß, und er geht so rasch, dass er vor lauter Emphase wieder zu pfeifen beginnt. Als er, unten im Erdgeschoss angekommen, Lea erkennt, geht er zur Rezeption, wünscht ihr noch einmal einen guten Morgen und gibt ihr, über die Rezeptionstheke hinweg, einen Kuss auf die Wange. Die danebenstehenden Mädchen schauen etwas verblüfft, sagen aber nichts. Auch Lea sagt nichts, sondern lacht nur etwas verlegen. Als er das Foyer verlässt, hört er jedoch plötzlich das helle Lachen der Gruppe, wie einen feinen Sprühregen kleiner Geister, der ihm hinterherweht.
Er geht durch das Hotelrestaurant, in dem schon wieder die ersten Gäste-Trauben am Frühstücksbüffett aufgetaucht sind, hinaus ins Freie, die orangefarbenen Sonnenschirme auf der Freifläche draußen stehen noch zugeklappt da. Er lässt sie hinter sich und folgt einem breiten Fußweg, dann biegt er auf einen kleineren Pfad ab und erreicht das dunkle Wäldchen. Kurz vor dem Gartenhaus wird er langsamer. Wie wird sie reagieren, wenn er gleich in der Tür steht? Er ist aufgeregt, ja, er spürt ein Jucken am Hals, als würde sich dort eine rötende Stelle auftun. Er zählt Schritt für Schritt, noch drei, noch zwei, er fühlt sich unvorbereitet und hilflos, vielleicht hätte er sich doch noch einige Gedanken machen sollen, bevor er sich auf dieses Treffen einlässt. Ach was, eine so schöne Begegnung sollte etwas Spontanes behalten, langes Nachdenken könnte ihn am Ende auch hemmen.
Dann steht er in der offenen Tür und schaut in den Raum, den er auf den ersten Blick nicht mehr wiedererkennt.
Ringsum, auf allen Fensterbrettern, stehen kleine Vasen mit bunten Herbstblumen. In der rechten Hälfte des Raums wartet ein kleiner, kreisrunder Tisch mit zwei Stühlen, den eine weiße, bis zum Boden reichende Tischdecke verhüllt. Auf dieser Decke ist für ein reiches, festliches Frühstück gedeckt.
In der linken Hälfte des Raums aber steht direkt vor einem Fenster ein Schreibtisch mit einem Stuhl. Auf der Tischplatte liegen einige anscheinend japanische Zeichnungen mit lauter Naturszenen, mit geradezu dramatisch aufgeblühten Pflanzen und stark vergrößert dargestellten Insekten. An diesen Tisch schließt sich in der hinteren, linken Ecke des Raumes ein alter Bauernschrank an. Er ist geschlossen, seine gesamte Vorderfront aber ist ebenfalls mit japanischen Tusche-Zeichnungen geschmückt, auf denen Raupen, Schmetterlinge und grüne Eidechsen sich in hohen Grasbüscheln tummeln.
Vor dem Schrank steht ein breiter, ausladender Korbsessel, der von einem großen, weißen Laken fast ganz verhüllt wird. Auf seiner Sitzfläche liegt ein einzelnes Buch, er erkennt es sofort, es ist das Tagebuch des japanischen Wander-Dichters, in dem er selbst bereits viel gelesen hat.
An der Längsseite des Raums aber, dem Eingang gegenüber, verläuft eine Regalleiste, auf der eine kleine Bibliothek aufgebaut ist. Er erkennt eine Reihe von Gartenbüchern und mehrere asiatische Titel, zur Linken und Rechten der Büchersammlung steht jeweils eine Schwarz-Weiß -Postkarte mit einem fotografischen Motiv, anscheinend
handelt es sich um Darstellungen recht schlichter Zimmer weitgehend aus Holz, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Raum vor seinen Augen
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