Liebesnaehe
haben.
Er ist so erstaunt, dass er sich eine Weile nicht bewegt, sein Blick durchstreift den Raum immer wieder, dieses Schauen ist bereits ein großer Genuss, alles wirkt hergerichtet und aufgebaut wie zu einem intimen Fest. Erst als er bereits eine Weile auf der Türschwelle steht, wird ihm klar, dass er noch allein ist. Jule ist anscheinend unterwegs, vielleicht ist sie dabei, noch etwas für das Frühstück zu holen, es kann aber auch sein, dass sie einen kleinen Morgenspaziergang macht.
Langsam betritt er das Zimmer und bemerkt erst jetzt die Musik, die im Innern besser zu hören ist. Es ist eine altjapanische Musik: eine Bambusflöte, eine Zither, eine Trommel – die meditativen Klänge verleihen dem Raum eine gewisse Leichtigkeit und nehmen dem vielen Holz etwas von seiner dumpfen Kraft.
Er durchstreift den Raum, er geht zunächst nach links und schaut sich die japanischen Zeichnungen an, die er aber nicht in die Hände zu nehmen wagt. Sie wirken so, als hätte sie der Maler oder Zeichner gerade hier abgelegt, ja, sie ähneln dünnen, losen Blättern, die der Wind gerade etwas verstreut hat. Überhaupt hat das ganze Zimmer jetzt etwas vom Arbeitszimmer einer Künstlerin oder eines Künstlers, die einzelnen Dinge sind auf sehr feine Weise aufeinander abgestimmt und bilden dadurch eine Atmosphäre der Konzentration und des Studiums.
Durch die leise, nachhallende Musik ist aber auch etwas Schwebendes, Fernes im Raum, etwas, das der nüchternen Brutatmosphäre von bloßen Arbeitszimmern mit einem starken Gegen-Akzent begegnet.
Er schaut sich auch die Bücher und Postkarten an, er geht langsam an dieser Reihe vorbei, dann erreicht er den kleinen Esstisch mit den beiden Stühlen.
Das Frühstücksgeschirr besteht aus dünnem Porzellan mit blauen japanischen Motiven, auf den Esstellern erkennt er kleine Szenen mit jungen Frauen auf einer Holzterrasse, im Hintergrund breiten sich die schneebedeckten Spitzen eines breit in eine Hügellandschaft hingelagerten Berges aus. Auch die Innenwände der Tassen sind mit blauen japanischen Motiven verziert, dazu passen die kleinen Unterteller mit winzigen Graslandschaften, ebenfalls in Blau.
Und weiter: Kleine Messer, Gabeln und Löffel mit Elfenbein-Handgriffen. Eine silberne Kaffeekanne, eine etwas größere silberne Teekanne. Zwei schwere Wassergläser. In der Mitte des Tisches ein altweißer, runder Teller mit einer großen Portion frischer Landbutter. Zwei kleine Schalen mit gegrillten, groben Landwürsten. Eine silberne Schale mit einem hellweißen Tuch, das so zusammengeschlagen ist, dass die fast verdeckten, schweren, an den Rändern dunkelbraunen Toastscheiben noch ihre Wärme behalten. Ein weißer Topf mit dunkler Orangenmarmelade, daneben ein Halbmond aus ebenfalls weißem Porzellan, der mit einem Käse-Halbmond fast bis an den
Rand gefüllt ist. Eine weitere silberne Schale mit Scheiben frischen Landbrots. Und eine kleine Blumenvase, ein runder, schwerer Ballon, in dem eine einzelne Rispe mit Orchideenblüten steckt.
Die Komposition ist so gelungen, dass er lange nicht wegschauen kann. Das Blau der japanischen Motive kontrastiert mit dem Alt- und Hellweiß der Teller und Schalen. Er macht ein paar Schritte zurück, dreht sich um und geht nach draußen, richtig, es ist das besondere Blau dieses Himmels, das diese Motive einfangen, und es ist das intensive Weiß seiner kleinen, ziehenden Wolken, das die Teller und Schalen festhalten. Wie eigenartig, dass nun auch er hellblau und weiß gekleidet ist, fast ist es ihm ein wenig peinlich, dass er so sehr in diese Bilder passt.
Wo aber ist sie? Er hat eine Ahnung, und so geht er ein paar Schritte über eine Wiese zurück auf das Hotel zu und erreicht die Bank, von der aus er vorgestern eine ihm unbekannte Schwimmerin beobachtet hat. Er blickt hinunter auf den Pool. Im glänzenden Blau bewegt sich eine Schwimmerin. Er nickt, er weiß jetzt schon besser, wer diese Schwimmerin ist.
29
SIE SCHWIMMT ihre Bahnen, sie wartet auf ihn. Wenn sie am Beckenrand anschlägt, schaut sie jedes Mal kurz hinauf zu der Bank, an der er seine erste Zettel-Botschaft hinterlassen hat. Noch ist nichts von ihm zu sehen, aber bald wird er sich dort oben zeigen, da ist sie vollkommen sicher.
Während der Nacht hat sie das Gartenhaus eingerichtet, Katharina hat sie mit den Büchern und Karten des alten Gärtners und mit einem Korbsessel versorgt. Die anderen Möbel hat sie im Möbellager des Hotels gefunden, den Schrank, den kleinen
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