Liebesnaehe
Rundtisch und den Schreibtisch, der zur früheren Einrichtung gehört haben wird. Langsam hat das Gartenhaus seine alte Schönheit und Schlichtheit wieder zurückerhalten, sie hat kaum etwas verändert. Die neuen, asiatischen Motive aber hat sie so in das Ensemble der alten Möbel eingepasst, dass der Raum am Ende nicht nur an ein Zimmer Nietzsches oder des Indianer-Häuptlings Red Clou erinnerte, sondern auch an einen Raum in einem japanischen Holzhaus.
Sie hat aber noch nicht in diesem Zimmer geschlafen, nein, das hat sie sich für die letzte Nacht aufgehoben. Bis kurz nach Mitternacht hat sie sich um die Einrichtung des Zimmers gekümmert und zum Schluss noch ihre technischen Geräte herübergebracht. Müde und erschöpft hat sie dann noch eine Stunde in ihrem eigentlichen Hotelzimmer gesessen und den nächsten Tag durchdacht und
vorbereitet. Sie hat zwei Gläser Rotwein getrunken, der Wein beflügelte sie, schließlich fühlte sie sich sogar derart ausgelassen, dass sie Johannes noch am liebsten in seinem Zimmer aufgesucht hätte. Und warum, tief in der Nacht? Um mit ihm zu schlafen? Denkt sie wirklich daran? Ja, natürlich, um auf die selbstverständlichste Art mit ihm zu schlafen. Und was wäre die selbstverständlichste Art?
Auf ihr leises Klopfen hin hätte er seine Zimmertür geöffnet, und sie wäre in einen dunklen Raum geschlüpft. Sie hätte sofort bemerkt, dass er bereits geschlafen hatte, und sie wäre hinter ihm her direkt in sein Bett gehuscht. Er hätte sich zurück unter seine Decken begeben, und sie hätte sich zu ihm gelegt, sie hätten sich einander zugewandt und dann miteinander geschlafen, sofort, ohne ein Wort, heftig und schön. Durch die Begegnung erschöpft, wären sie danach in ein leichtes Träumen versunken, jeder von ihnen beiden hätte etwas geträumt, einfache Sachen, ihr Schlaf wäre also nicht tief gewesen, und schon ein leichtes Aneinanderstoßen ihrer nackten Körper hätte sie erneut geweckt. Sie hätten ein zweites und später ein drittes und noch später ein viertes Mal miteinander geschlafen, und jede dieser schönen Begegnungen wäre von einer Art Träumerei unterbrochen worden, von einem Wegdriften eher als von wirklichem Schlaf. Noch vor dem Morgengrauen hätte sie sein Zimmer verlassen und wäre wieder zurück in ihr Zimmer gegangen, dort erst hätte sie dann wirklich geschlafen, tief und fest, aber nicht mehr als zwei weitere Stunden.
Das wäre die selbstverständlichste Art. Und die anderen Arten? Darüber möchte sie gern einmal etwas schreiben, ja, über »Liebesarten« würde sie gern etwas im Stil der japanischen Hofdame Sei Shonagon notieren. Ernsthaft hat sie darüber noch nie nachgedacht, wieso auch, solche Themen stellten sich bisher nicht. Die Begegnung mit Johannes aber hat vieles verändert, plötzlich begreift sie, dass die Liebe ein Stück Literatur ist, es ist ein Stück aus Szenen, Notaten, Aufzeichnungen, Inszenierungen. Es ist sogar das reichste und vielfältigste Stück Literatur, das es gibt. Und inhaltlich, was hat dieses Stück Literatur inhaltlich zu bieten? Es ist eine Literatur der starken Freude, eine Literatur des Hymnus und des Gesangs, und es ist eine Literatur der Schöpfung, denn sie zeigt wie keine andere, wie sich Menschen gegenseitig erschaffen, indem sie sich begegnen. Ist das zu viel gesagt? Ach was, natürlich ist dieses Stück Literatur ein einziges Zuviel, ein Übermaß, ein Daseinsjubel, ja, das ist sie. Immer neue Worte möchte sie dafür erfinden, so wie die große Kunst der ernsten schönen Mystikerinnen des Mittelalters ausschließlich darin bestand, immer neue Worte für Gott zu finden. Immer neue, ohne dass sich die Kräfte verbrauchte! Hingeschrieben mit einer gewissen Atemlosigkeit, wie unter Diktat. Keine Abwechslung, sondern letztlich nur Wiederholung. Diese Wiederholung aber als fortlaufende Steigerung. So vielleicht, so vielleicht könnte man sich das alles vorstellen.
Sie schaut wieder hinauf zur Bank, da erkennt sie ihn. Er steht neben der Bank und blickt zu ihr hinunter, er trägt ein hellblaues Hemd und eine weiße Hose, das passt,
denkt sie sofort. Sie schwimmt noch zwei Bahnen, dann steigt sie aus dem Becken, sie trocknet sich ab und zieht einen Bademantel über. Dann geht sie einen kleinen Pfad an einem Holzgeländer entlang hinauf zu einer Wiese, die sie überquert, um zum alten Gartenhaus zu gelangen. Sie geht schnell darauf zu, sie freut sich jetzt sehr auf diese Begegnung, ja, sie hat alles
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