Liebesnaehe
darüber nach. Vorerst ist dieses Thema aber auch nicht von Bedeutung, ich möchte von Dir vielmehr hören, wie ich meine Texte verbessern oder anders gestalten könnte. Was kannst Du mir raten? Du wirst mir helfen, habe ich recht?
Er lacht und nickt.
– Wir werden sehen, antwortet er. Ich brauche jetzt erst einmal etwas Ruhe und Zeit, und dann werden wir sehen.
– Brauchst Du sonst noch etwas? fragt sie, soll ich Dir etwas zu essen oder zu trinken bringen? Oder brauchst Du sonst etwas, das Dich anheizt?
– Ich habe sehr gut gefrühstückt, antwortet er, ich habe Kaffee, Tee und Sekt getrunken, ich bin so hellwach und aufmerksam, dass Mozart an mir seine Freude hätte.
– Mozart, wieso Mozart? Wie kommst Du denn jetzt auf Mozart?
– Habe ich Mozart gesagt?
– Mozart, ja, Du hast Mozart gesagt.
– Ah ja, seltsam, ich habe eben auf dem Flur Mozart
gehört, eindeutig. Ich weiß nicht, was genau ich gehört habe, aber es war Mozart, ohne Zweifel. Ich kann es mir auch nicht erklären. Irgendein Teil meines Gehirns ist von Mozart besetzt.
– Vielleicht war es das Klarinettenkonzert.
– Welches Klarinettenkonzert?
– Johannes, was ist denn bloß mit Dir los? Ich meine Mozarts Klarinettenkonzert, Du liebst es doch so.
– Ich liebe Mozarts Klarinettenkonzert? Habe ich das einmal gesagt?
– Schon oft, schon sehr oft.
– Aha, Du kannst recht haben, dann habe ich vielleicht wirklich Mozarts Klarinettenkonzert gehört, obwohl es mir so vorkam, als hätte ich einige Duette aus seinen Opern gehört. Wie auch immer, ich werde mich jetzt konzentrieren, nicht auf Mozart, sondern auf Deine Aufzeichnungen. Bitte, gib sie mir!
Katharina schüttelt den Kopf und nimmt von einem Regal einen kleinen Stapel Karteikarten, die mit einem roten Gummi zusammengehalten werden. Sie entfernt das Gummi und gibt ihm die Karten.
– Ich lasse Dich jetzt allein, sagt sie.
– Ja, sagt er, Du kannst mich jetzt ruhig alleinlassen, ich sage noch einmal, es geht mir gut. Es gibt nur diese oder jene Umpolung in meinem Gehirn, es ist aber nichts Beängstigendes, glaub mir, es ist vielmehr etwas sehr Schönes.
– Dann lasse ich Dich jetzt wirklich allein, sagt sie noch einmal.
Er schaut sie an, er muss lächeln.
– Du wiederholst Dich, sagt er, Du kannst Dich nicht von Deinen Texten trennen, stimmt’s? Am liebsten würdest Du sie gleich wieder einkassieren, stimmt’s?
– Geh vorsichtig mit ihnen um, antwortet Katharina.
– Keine Sorge, antwortet er, ich bin die pure Vorsicht und die pure Geduld. Aber jetzt lass mich bitte wirklich allein.
Er steht auf und schiebt sie mit sanfter Gewalt aus dem Kabinett. Noch im Stehen nimmt er dann einen großen Schluck Tee, streicht sich übers Haar und nimmt Platz. Er atmet tief durch, dann beginnt er zu lesen.
Er liest langsam und mit großer Aufmerksamkeit, jeden Text liest er mehrmals und macht danach eine Pause, bevor er zum nächsten greift. Nachdem er fünf gelesen hat, hält er inne. Ihm ist etwas aufgefallen, ja, eigentlich ist ihm bereits während der Lektüre des ersten Textes etwas aufgefallen, diese Beobachtung hat sich daraufhin bestätigt und erweitert, so dass er jetzt glaubt, etwas Charakteristisches festgestellt zu haben.
Ihm ist zunächst aufgefallen, dass Katharina, anders als von ihm erwartet, gar nicht ausschließlich von den Büchern und der Lektüre erzählt, sondern immer wieder davon, wo sie die jeweiligen Bücher gelesen hat. Einen französischen Ehe-Roman des neunzehnten Jahrhunderts zum Beispiel hat sie in Südfrankreich während einer mehrtägigen Reise mit Georg durch die Provence gelesen. In der Provence haben sie zwei Künstlerinnen besucht und in einigen der schönsten Städte Station gemacht. Katharina
erzählt davon, dass sie Georg aus dem Roman vorgelesen habe, mittags, nach dem Essen, nachmittags, während einer Siesta im Freien, oder auch abends und nachts, im Hotelzimmer. Sie schildert seine Reaktionen, seine Ausrufe und Kommentare, sie berichtet, was ihr angesichts dieser Kommentare selbst durch den Kopf geht, sie hält minutiös fest, was ihr Vorlesen in ihm auslöst und wie er damit umgeht.
Ganz ähnlich ist aber auch auf den anderen Karten beinahe ausschließlich davon die Rede, dass und wo sie Georg aus dem jeweiligen Buch vorgelesen hat. Das Vorlesen betrieb sie anscheinend während jeder gemeinsamen Reise, das Paar scheint immer mit mehreren Büchern unterwegs gewesen zu sein, aus denen dann eben Bruchstücke oder auch nur ein
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