Liebesnaehe
Versteck.
Er notiert: Die schönen Stunden des Lesens … , er unterstreicht diese Wendung, als wollte er sie verstärken oder hervorheben. Dann notiert er darunter, was ihm dazu einfällt. Er datiert den Zettel und fügt noch hinzu, wo er diese Notate verfasst hat: In Ks geheimem Archiv, das ich heute als erster Fremder betreten durfte.
Er faltet den Zettel zusammen und steckt ihn ein, dann liest er weiter.
31
NACH IHRER kurzen Begegnung mit Katharina kehrt sie zum Gartenhaus zurück. Sie hat ihr Glück nicht für sich behalten können, sie musste Katharina unbedingt davon erzählen. Davor hat sie einige Fotos von den Szenen des frühen Morgens gemacht, sie hat den Frühstückstisch in all seiner Unordnung nach dem Verzehr des Frühstücks fotografiert, und sie hat Aufnahmen von
ihrem Schreibtisch gemacht, auf dem verstreut die vielen Briefbögen liegen, die sie nach dem Frühstück wie im Rausch beschrieben hat.
Jetzt, nach ihrer Rückkehr, räumt sie das Zimmer auf. Sie öffnet mehrere Fenster und lässt den Dunst des frühen Morgens hinausziehen. Dann stellt sie das Geschirr und was von den Speisen übrig geblieben ist, in einen großen Korb, den sie sich in der Hotelküche besorgt hat.
Sie denkt darüber nach, dass sie ein Frühstück von der Art serviert hat, wie es auch Georg gemocht hätte. Immer wenn sie mit ihm gefrühstückt hat, musste es ein opulentes Frühstück geben. Georg verabscheute Brötchen jeder Art, auch Croissants mochte er nicht. Stellte man ihm ein Frühstücksei hin, lachte er nur und sorgte dafür, dass es sofort wieder verschwand. Brötchen, Croissants und Frühstückseier nannte er »Spielzeug« und empfand ihren Verzehr als »degeneriert«.
Sie lacht kurz auf, als sie sich daran erinnert, wie er in Hotels manchmal den Frühstückstisch abräumte. Das Frühstück war für ihn eine kräftige Mahlzeit, nach der Zeitungen gelesen und oft noch einige Gläser Sekt getrunken wurden. Von ihm hat sie die Eigenheit übernommen, in der Früh Sekt zu trinken. An die Opulenz des Frühstücks allerdings hat sie sich nicht gewöhnen können. Ihr fehlte einfach das Gegenüber, ja, das war es, ihr fehlte jemand, dessen Genießen der deftigen Speisen so ansteckend wirkte, dass man sich auch selbst davon mitreißen ließ.
Einige Zeit hatte sie Georg in Verdacht, dass er darauf wartete, dass sie ein solches Gegenüber fände. Wenn sie einen Freund hatte, so lud er ihn oft mit zu gemeinsamen Mahlzeiten ein, schon kurze Zeit später aber ging er meist auf Abstand zu diesem Dritten in ihrer Runde. Er kommentierte ihre Beziehung im Einzelnen nicht, aber er schien doch zu wissen, dass unter all diesen Künstlern, Kuratoren oder Museumsleuten nicht derjenige war, mit dem sie dauerhaft zusammenleben könnte. Wirklich zusammengelebt hatte sie mit all ihren Bekanntschaften denn auch nie, nein, sie hatte immer darauf bestanden, in zwei verschiedenen Wohnungen zu leben. Meist befanden sich diese Wohnungen dann auch noch an weit voneinander entfernten Orten, so dass es durchaus vorkommen konnte, dass eine gerade eingegangene Freundschaft allein wegen der Entfernung immer mehr in den Hintergrund geriet und dann schließlich vollends verblasste.
Georg beobachtete das alles amüsiert, er behauptete, sie sei die typische »schöne Freundin« und damit eine junge Frau, mit der man sich gerade auf dem eitlen Kunstmarkt gerne zeige. Im Grunde aber sei sie viel mehr, nämlich seine »schöne und gehorsame Tochter«, die mit ihm länger und besser zusammenarbeite und sich mit ihm besser verstehe als mit jeder ihrer Freundschafts-Installationen. »Die Jungs verstehen Dich nicht«, hatte er oft etwas resigniert gesagt, und sie hatte gespürt, dass er sich am liebsten selbst auf die Suche nach einem Menschen gemacht hätte, in den sie sich wirklich hätte verlieben können.
Wenn sie jetzt darüber nachdenkt, so bemerkt sie im Nachhinein, dass seine vorsichtigen Anspielungen auf dieses Thema immer häufiger geworden waren. Unvergesslich ist ihr vor allem Georgs mehrmalige, seltsame Bemerkung, dass er ihr »noch einmal vormachen werde«, wie man den richtigen Menschen im Leben finde. Sie hatte diese Bemerkung als einen Witz verstanden, schließlich war Georg seit langer Zeit mit Henrike verheiratet, hatte mit ihr viele Kinder und machte überhaupt nicht den Eindruck eines der Ehe überdrüssigen Ehepartners.
Und doch … Von heute aus betrachtet, befiel sie manchmal der Verdacht, die Vernachlässigung ihrer
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