Liebesnöter
traurig. »Ja, Liebe.« Sie fixierte Roger. »Und welche Rolle spielen Sie in diesem Spiel?«
»Keine Wesentliche. Ich habe mich einfach nur in diese junge Frau verliebt, als sie plötzlich in meinem Hotelzimmer stand.« Ella spürte Ingers verwunderten Blick und wurde rot.
»Ja, stimmt«, sagte sie schnell, »die Rezeption hat mir einen falschen Zimmerschlüssel gegeben.«
»Wenn ich nicht so traurig wäre, müsste ich jetzt lachen«, sagte Inger. »Aber deine Botschaft ist ja noch eine andere«, richtete sie sich an Ella. »Deine Botschaft ist ja, dass Nils ein Mörder sein soll.«
»Das ist nicht meine Version. Die Obduktion ergab, dass es ein gewaltsamer Tod war, und der Verdacht richtete sich gegen Moritz. Mit ihm ist Inka auf den See hinausgefahren, das Boot ist gekentert, sie wurde gewaltsam unter Wasser gedrückt, und er ist verschwunden. Und nun ist er wieder aufgetaucht, hier bei dir!«
»Um nun wieder verschwunden zu sein«, ergänzte Inger. Sie umklammerte den Becher mit beiden Händen. »Das ist sehr viel auf einmal. Die Liebe meines Lebens soll ein Mörder sein? Ein Mädchen ertränkt haben und abgehauen sein? Versteh mich bitte, dass für mich die beiden Männer im Moment nicht ein und dieselbe Person sein können. Ihre Konturen stimmen einfach nicht miteinander überein.«
»Weißt du, wer sein Portrait in Frankfurt gekauft hat?«, wollte Ella wissen.
Inger schüttelte langsam den Kopf. »Ich weiß nur, was mir gesagt wurde. Es war eine Frau. Das Bild wurde bar bezahlt, und es gibt keine Möglichkeit, den Verbleib des Portraits nachzuvollziehen.« Inger trank einen Schluck. »Es war sowieso ein Fehler. Er hat mich gebeten, die Bilder, die ich von ihm malte, als rein privat zu betrachten. Ich möchte niemals zur Schau gestellt werden, hat er mir gesagt. Und ich habe es ihm versprochen.«
»Warum? Warum haben Sie Ihr Versprechen gebrochen?«, mischte sich Roger ein.
»Ein kindliches Verlangen«, ein Lächeln zog über Ingers Gesicht, und sie richtete sich auf. »Das kindliche Verlangen, einmal gemeinsam mit meiner großen Liebe aufzutreten. Postum, sozusagen. Ich wollte unsere Zweisamkeit demonstrieren. Vielleicht war es auch wie der Gang vor den Traualtar. Wir beide, vereint in Liebe.«
Ella betrachtete Ingers Gesicht. Dieses selbstvergessene Lächeln, die weichen Züge, der volle Mund. Vereint in Liebe. Was hatte Moritz alles angerichtet!
»Weshalb hast du mir das nicht erzählt?«
Ella und Roger saßen unter dem Blick des Kapitäns auf der Fähre zurück ans Festland.
»Was meinst du?« Ella hing ihren Gedanken nach. Ihre Augen blickten ins Leere.
»Es hätte manches erklärt.«
Ella konnte sich nicht losreißen, sie fühlte sich wie im Tiefschlaf. »Erklärt?«
»Dieses Doppelte in dir, das Zwiegespaltene.«
»Das ist Inka.«
»Ja, das weiß ich jetzt auch.«
Wieso hat Inka die ganze Zeit über nichts gesagt, fragte sich Ella plötzlich. Bei all den Offenbarungen von Inger war sie still geblieben, hatte sich nicht gerührt. Ihr Smartphone klingelte. Sie griff danach, die Nummer sagte ihr nichts, trotzdem nahm sie das Gespräch an.
»Hej«, Ella hörte den fröhlichen Singsang von Siris Stimme. »Meine Mutter hat angerufen, also, dieser verschwundene Kerl heißt Nils Andersson, Bootsbauer. Hat seine Bootsbauerwerft, oder wie man so was nennen mag, auf dem Land vor Stockholm. Soll ziemlich abgelegen sein, aber ich habe die Adresse.«
»Nils Andersson«, wiederholte Ella langsam. Wie ein Mensch plötzlich vor ihr entstand, dachte sie. Zuerst hast du nur einen Namen, dann bekommt er ein Gesicht. Aber das Gesicht eines anderen … da war sie wieder. Fast war Ella froh, dass Inka sich wieder einmischte. »Du bist wirklich ein Spitzendetektiv, danke!«
»Die Adresse hinterlege ich hier im Hotel unter deiner Zimmernummer.«
Ella sah aus den Augenwinkeln, wie Roger interessiert zuhörte.
»Informationen?«, fragte er, als Ella das Smartphone wieder einsteckte.
Siri hinterlegt die Adresse unter ihrer Zimmernummer, dachte sie, das war auch Rogers Zimmernummer. Aber jetzt spielte das sowieso keine Rolle mehr.
»Ja, das war Siri von der Rezeption, sie hat Nils’ Adresse herausgefunden.«
»Also Moritz’ Adresse.«
»Ja, Moritz.«
»Du hast deine Spione überall«, sagte er scherzhaft.
Ella antwortete nicht, sie dachte an Maxi. Ihr musste sie noch ein dickes Dankeschön schicken. Roger legte seine Hand auf ihr Knie. Komisch, dachte sie, was macht die Hand da. Von einem völlig
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