Liebesnöter
er mir die Tür aufgemacht, ist das nicht unfassbar?? Wie hätte ich reagiert? Wäre ich ihm direkt an die Kehle gegangen? Wie konnte er sich nach so einer Tat einfach so verstecken? Aber ich habe jetzt seine Adresse. Er hat als Bootsbauer gearbeitet. Moritz! Kannst du dir den als Bootsbauer vorstellen? Er war doch faul wie eine leere Papiertüte und für Höheres bestimmt, wie sein Erfolgsvater immer sagte. Aber dieses Bootshaus schaue ich mir genauer an. Und den See auch. Vielleicht taucht er ja wieder auf …« Ella setzte noch schnell ein »Kuss, deine Ella« und »Was sagst du zu dem Ganzen???« darunter, dann stand sie von ihrem Laptop auf und setzte sich zu Roger an den Tisch. Nun musst du umschalten, dachte sie, mach dich mal ganz locker, Ella.
»Gemütlich.« Sie lächelte. »Jetzt fehlen nur noch die Kerzen und ein bisschen romantische Musik.«
»Musik kannst du haben«, er zeigte auf sein Smartphone. »Einen kleinen Lautsprecher habe ich auch dabei.«
»Du bist tatsächlich ein Mann für alle Gelegenheiten.« Ella nahm einen Schluck aus ihrer Tasse und schleckte sich den Milchschaum mit der Zungenspitze von der Oberlippe.
Roger beobachtete sie. »Interessant, wie du das machst.«
»Was?«
»Wie du mich anmachst.«
»Mach ich nicht.«
»Machst du doch!«
Ella stellte die Tasse ab. »Wie kommt deine Frau damit zurecht?«
»Was meinst du?«
»Nun, ich werde ja nicht die einzige Gespielin sein, die du auf deinen Reisen aufgabelst.«
Roger zog die Stirn kraus. »Du willst jetzt nicht wirklich über meine Frau reden?«
»Warum nicht?«
»Weil ich das nicht will.« Seine Kuchengabel stach in die grüne Masse.
Ella überlegte. Es interessierte sie auch nicht wirklich. »Na gut, lassen wir die Daheimgebliebenen daheim.«
Er nickte und balancierte eine übervolle Gabel in seinen Mund.
»Ist sie hübsch?«
»Mmmmpfhhh.«
»Ah ja.« Ella zog eine Augenbraue hoch. »Wie aufschlussreich.« Sie betrachtete ihre Zimtschnecke von allen Seiten. »Ich möchte mir nachher eine warme Jacke kaufen. Vielleicht auch einen Norwegerpullover, wenn ich schon mal in Schweden bin.«
»Schlüssig«, meinte Roger mit vollem Mund.
»Magst du mitkommen, mich beraten?«
»In Stockholm shoppen?« Sein Blick war geradezu entgeistert.
»Ja, warum nicht?«
»Das ist für einen Pariser die Höchststrafe!«
Volltreffer, dachte Ella und verkniff sich einen erleichterten Gesichtsausdruck.
»Schade«, sagte sie und biss in die Schnecke.
Eine halbe Stunde später saß sie im Taxi auf dem Weg zu Nils Anderssons Bootshaus. Sie hatte dem Taxifahrer die Adresse in die Hand gedrückt, und er meinte, dreißig Kilometer seien das auf jeden Fall bis zu dem Dorf in den Schären. Und wenn er dann die Werft noch suchen und auf sie warten müsse, koste das auf jeden Fall was extra. Sie handelten den Pauschalpreis von tausend Kronen aus, und Ella war zufrieden. Ein Norwegerpullover mit integriertem Windstopper wäre sicherlich teurer gewesen.
Sie war aufgeregt, aber sie genoss die Fahrt trotzdem. Bald bogen sie von der breiten, stark befahrenen Straße in eine schmale Landstraße ab, die durch einen dichten Wald führte. Zwischendurch wurde es lichter, dann konnte sie linker Hand kurz Wasser sehen. Sie fuhren durch einige Ortschaften, deren Straßenschilder sich Ella nicht merken konnte und die sich alle irgendwie ähnelten. Schließlich waren sie wohl in dem Ort angekommen, der auf dem Zettel vermerkt war, denn der Fahrer hielt am Straßenrand und erkundigte sich bei einigen Frauen nach der Werft. Zwei schauten sich kurz und bedeutungsvoll an, die dritte gab bereitwillig und gestenreich Auskunft.
Ella saß hinten und versuchte sich aus den Gesten und den Aussagen der Frau einen Reim zu machen, aber sie verstand rein gar nichts und gab es schließlich auf. Sie hoffte, dass sich der Taxifahrer die vielen Abzweigungen, Kreuzungen und Straßennamen merken konnte, und ärgerte sich, dass sie nicht gleich nach einem Taxi mit Navigationsgerät gefragt hatte, das hätte jedenfalls Zeit gespart.
Der Taxifahrer unterhielt sich noch kurz mit der Frau, dann fixierte er Ella durch den Rückspiegel.
»Ist der Bootsbauer ein Freund von Ihnen?«, wollte er auf Englisch wissen.
Ella zögerte. »Ein Bekannter.«
»Er ist tot. Wir können umkehren.«
»Ich möchte trotzdem da hin.«
»Das macht keinen Sinn, da ist niemand mehr.«
»Ich habe Sie dafür bezahlt, und ich möchte da hin.«
Er verzog missmutig das Gesicht. »Das Haus liegt
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