Liebesnöter
versteckt, wir werden suchen müssen.«
»Dann suchen wir eben. Die Frau hat den Weg doch ganz gut beschrieben.«
In diesem Moment ging eine Nachricht ein. Ella griff nach ihrem Smartphone.
»Chérie, bringst du mir einen warmen Schal mit? Kaschmir und bitte taubenblau mit hellgrau. Bisou.«
Ella legte das Smartphone neben sich auf den Sitz.
»Liegt da noch ein Boot von Ihnen?«
»Ich besitze kein Boot, aber ich möchte trotzdem dorthin.«
Im Rückspiegel sah Ella, wie er die Augen zusammenkniff, gleich darauf drehte er sich zu ihr um.
»Gut. Auf Ihre Verantwortung.«
»Weshalb auf meine Verantwortung?«
»Es haben sich dort wohl ein paar Leute eingenistet, die hier im Ort nicht gern gesehen sind.«
»Leute? Was für Leute?«
Er rollte die Augen. »Was weiß ich? Penner.«
»Penner?« Gab es so etwas in Schweden überhaupt? War Schweden nicht der sozialste Staat überhaupt?
»Sie wollen trotzdem hin?«
»Ich will trotzdem hin.«
Er schüttelte den Kopf, drehte sich um und fuhr los.
»Mal schauen, wo ich so einen Schal finden kann«, schrieb Ella zurück.
Offensichtlich hatte der Fahrer gut zugehört, denn er fuhr traumwandlerisch sicher einige Straßen entlang, die schließlich zum Wasser führten. Ein langer Schuppen, von dem aus Gleise zum Wasser führten, versperrte ihnen den Weg. Und am Ufer lag ein umgedrehtes Kanu aus rötlich schimmerndem Holz.
»Das muss es sein.« Der Taxifahrer hielt an. »Ich warte.«
»Gut.« Ella stieg aus. Hier direkt am Wasser hatte der Wind wieder mehr Kraft, die Blätter rauschten, und die wild bewegten Wellen rollten auf das Ufer zu und liefen flach und schäumend aus. Ella hielt sich den Kragen der Jacke zu und ging am Bootshaus entlang in Richtung See. An dem Kanu blieb sie stehen. Sie betrachtete es, dann schaute sie über den See. Schräg gegenüber, zwischen dem Grün der Bäume und dem Grau der Felsen leicht zu übersehen, entdeckte sie hoch oben auf den Klippen Ingers Haus. Von hier aus sah es aus wie ein Adlerhorst. Sie versuchte die Entfernung bis zum gegenüberliegenden Ufer zu schätzen. Zwei Kilometer? Oder drei? War Moritz ertrunken, als er auf dem Weg zu Inger war? Ella fuhr mit der Hand über den Rumpf des Boots, er fühlte sich glatt an, streichelweich, fast wie Lack. War er überhaupt mit diesem Boot unterwegs gewesen?
Ihr Blick tastete die Umgebung ab. Der See war sehr groß und unübersichtlich mit seinen Inseln, zerklüfteten Ufern und Klippen. Die Konturen konnte man mit bloßem Auge kaum erkennen. Die Anlegestelle der Fähre musste genau auf der anderen Inselseite liegen. So war Moritz’ Kommen und Gehen von niemandem zu sehen gewesen. Ella blickte am Ufer entlang nach links, aber selbst das Dorf war hinter einer kleinen Landzunge verborgen. Es war nicht weit weg, weit genug aber, um hier ungestört leben und arbeiten zu können.
Ella drehte sich zu dem Taxi um. Der Fahrer war ausgestiegen, lehnte an seinem Wagen und rauchte eine Zigarette.
Gut, dann hatte sie noch Zeit. Hoffentlich hatte er eine ganze Packung dabei und war Kettenraucher.
Sie ging auf das große Bootshaus zu, ein langer Schuppen aus roh gezimmerten Balken, die durch die Witterung grau geworden waren. Das zweiflügelige große Tor an der Stirnseite war verschlossen, die schmalen Gleise führten untendurch ins Innere des Schuppens.
Da war Moritz also Bootsbauer geworden, dachte Ella. Das passte irgendwie nicht zu ihm. Es hatte ihm doch eine glänzende Karriere offengestanden. Sein Vater hätte ihn weltweit studieren lassen. Fast hätte sie lachen müssen. Moritz, der nie einen Strich für die Schule getan hatte. Wenn der kraft des Geldes oder der Beziehungen seines Vaters irgendwo auf einer Eliteuniversität gelandet wäre, hätte er sicherlich alles Mögliche studiert, nur nicht sein Studienfach.
Ein hölzerner Riegel verschloss das Tor des Bootshauses. Ella hätte den Riegel aus der Verankerung ziehen können, aber sie wollte nicht einbrechen. Nicht vor den Augen des Taxifahrers. Am hinteren Ende des Schuppens lag ein Wohnhaus. Es war hübsch, schwedisch rot mit weißen Fensterrahmen. Ella ging darauf zu. Eine Scheibe war beim Fensterkreuz eingeschlagen worden, offensichtlich um den Fenstergriff von innen öffnen zu können. Dann stimmt es ja wohl doch, was der Taxifahrer gesagt hatte, überlegte Ella. Irgendwelche Gelichter hausten hier und freuten sich über das schöne Haus.
Warum auch nicht, dann hat wenigstens noch jemand was davon. Sie ging zur Haustür. Bevor
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