Liebesparadies im Alpenschnee
ich es als Kind in der Schule gelernt“, sagte Raoul. „Nun lass mich noch in jeden Stern ein Loch bohren und Fäden durchziehen. Dann kannst du sie aufhängen.“
Während sie den Baum schmückten, berührte er aus Versehen Crystals Arm. Sie zuckte zurück, als hätte sie sich verbrannt.
„Lasst uns eine Pause machen und essen“, schlug er vor. „Ich bin schrecklich hungrig.“
„Soll ich Teller und Besteck holen?“, fragte Crystal.
„Nein“, rief Philippe. „Wir essen mit den Fingern.“
„Und aus dem Papier.“
„Ihr habt euch also abgesprochen.“ Crystal lachte. „ Grand-mère und grand-père wären nicht begeistert davon.“
„Bei einem Picknick am Lagerfeuer darf man aus dem Papier essen“, sagte Raoul, nahm sich seine Hamburger und setzte sich im Schneidersitz auf den Teppich vor dem Kamin. Philippe gesellte sich zu ihm, und schließlich auch Crystal.
Nach dem Essen schmückten sie den Baum fertig. Dann stellte Raoul den CD-Spieler ab. „Philippe, ich glaube, deine Mutter möchte zum Nachtisch ein kleines Konzert hören. Warum singst du ihr nicht die Lieder vor, die du heute gelernt hast?“
Er nahm Crystal bei der Hand und führte sie zum Sofa. Philippe stellte sich vor den Tannenbaum und sang. Er war nur an wenigen Stellen unsicher, Raoul half ihm weiter.
Crystal klatschte. „Ich bin stolz auf dich. Du hast wunderschön gesungen.“
„Finde ich auch“, murmelte Raoul.
„Danke“, sagte Philippe und lächelte glücklich. „Dürfen wir heute bei dir schlafen, Onkel Raoul?“
„Da musst du deine Mutter fragen.“
„Bitte, Mommy. Onkel Raoul hat im Dachzimmer ein Ausziehbett.“
Verlegen wandte Crystal ein: „Wir haben aber keine Pyjamas dabei. Auch keine frische Wäsche für morgen früh.“
„Doch. Onkel Raoul hat mir und Albert Pyjamas mit Abdrücken von Bärentatzen geschenkt und jedem eine Zahnbürste. Damit wir alles da haben, wenn wir bei ihm übernachten.“
„Ein verspätetes Nikolausgeschenk“, erklärte Raoul. „Wenn du nicht hierbleiben willst, bringe ich ihn so früh vorbei, dass er noch Zeit hat, sich vor der Schule umzuziehen.“
Sie nickte. „Also gut. Du darfst hier schlafen.“
Philippe stieß einen Freudenschrei aus.
Bisher war alles zu seinen Gunsten verlaufen. Zufrieden erhob sich Raoul. „Dann mach dich gleich fertig fürs Bett.“
„Ja.“ Der Junge gab seiner Mutter einen Gutenachtkuss und lief davon.
Raoul schlenderte hinterher. „Ich bin bald zurück.“
Raoul musste einen ganzen Baumstamm verfeuert haben. Der Kamin war noch voller Glut. Crystal stellte sich an das große Fenster und schaute hinaus. Draußen war es dunkel geworden, doch sie wusste, dass man von hieraus tagsüber den herrlichsten Blick auf den Montblanc hatte. Seufzend drehte sie sich wieder um.
Suzanne hatte das Haus geschmackvoll und wohnlich eingerichtet. Mit bequemen eierschalfarbenen Sesseln und einem Sofa in der gleichen hellen Farbe, die für kleine Kinder vielleicht zu empfindlich war. Graue und blaue Kissen setzten Akzente in diesem Raum. Soweit sie es beurteilen konnte, hatte Raoul nach ihrem Tod nichts verändert.
Ein wirklich schönes und geräumiges Haus, viel zu groß für eine Person. Denn eigentlich gehörten … Weiter durfte sie nicht denken.
Sie setzte sich wieder aufs Sofa und versuchte, in der Zeitung zu blättern, ohne an Raoul zu denken.
„Ich mache Kaffee. Möchtest du auch einen trinken?“
„Ja, gern. Danke. Schläft Philippe schon?“
„Ja, noch ehe ich die Geschichte zu Ende lesen konnte, sind ihm die Augen zugefallen.“
„Der Nachmittag mit dir hat ihn glücklich gemacht, Raoul. Wenn du nichts dagegen hast, möchte ich mit dir etwas Wichtiges besprechen, ehe ich gehe.“
„Das wollte ich dir auch vorschlagen. Ich komme gleich mit dem Kaffee zurück.“
Der erste Teil seines Plans war also aufgegangen: Er konnte allein und ungestört mit Crystal sprechen. Erwartungsvoll ging Raoul mit den Kaffeebechern ins Wohnzimmer zurück und fand Crystal vor der Fotowand stehen. Einige Aufnahmen zeigten die Familie, andere seine Abenteuer in den Bergen, vor allem die mit Des. Er reichte ihr den heißen Becher, und sie zuckte zusammen, obwohl er sie gar nicht berührt hatte.
Unwillkürlich musste er daran denken, was sich einen Monat vor Erics tödlichem Unfall ereignet hatte. Er erinnerte sich daran so deutlich, als wäre es gestern geschehen.
Er war mit seinem Vater im Laden gewesen, wo Eric mit Jean-Luc über einen bestimmten neuen
Weitere Kostenlose Bücher