Liebhaber der Finsternis
Spiegelbild begegnete, erkannte er sich selbst nicht darin. Eine vor Hass entstellte Fratze, mehr Vampir, als er es jemals zuvor gewesen war, starrte ihm entgegen. Er konnte nicht anders, als sein Spiegelbild zu zerstören. Als die Scheibe zerbarst und die Alarmanlage losjaulte, kam er einen Moment zu sich und flüchtete in die Dunkelheit, rannte weiter und weiter. Ihre Stimme und die Gerüche ihrer Lust verfolgten ihn, hatten sich wie ein Geschwür in seinem Kopf eingenistet. So viele Jahrhunderte war er unfähig gewesen, etwas Derartiges zu fühlen und jetzt brachte ihn dieser Schmerz schier um den Verstand. Erst als er außerhalb der Stadt angelangt war, hielt er inne. In einer ruhigen Parkanlage hockte er sich auf eine Bank und vergrub sein Gesicht in den Händen. Als er in ihre Gedanken eintauchte, glich es einer Ohrfeige. Dieses Mal war es um ein Vielfaches schlimmer. Es war real und kam einem Dolchstoß gleich. Ob er sich jemals davon erholen könnte, wusste er nicht. In diesem Moment wollte er alles darum gegeben, ihren Schoß niemals besessen zu haben. Denn nun wusste er, was er verlor. Er wusste, wie sie sich anfühlte. Er kannte ihren Duft, den sie beim Sex verströmte und wie es sich anhörte, wenn sie erschöpft seinen Namen nach einem Orgasmus flüsterte. Wie es war, an ihrer Seite zu liegen und mit ihr die Nacht zu beginnen.
Er stand auf, riss die Bank aus der Verankerung und warf sie in den vor ihm liegenden See. Sie versank mit einem wütenden Platschen. In seinen Schläfen wurde das Hämmern stärker. Blut. Immer stärkeres Verlangen stieg auf. Er schnupperte in die Nacht und versuchte, eine Fährte aufzunehmen, doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte nichts Brauchbares ausmachen, es sei denn, er wollte sich an einer Maus gütlich tun. Heute Nacht war ihm nach etwas viel Größerem, etwas viel lieblicherem als einen flohverseuchten Fellknäuel.
Er machte sich auf den Weg zurück in die Stadt. Als er das Licht von Straßenlaternen erspähte, roch er auch endlich das süße Elixier seiner immer drängenderen Begierde. Sich im Schatten verbergend, wartete er, dass sich eine Spaziergängerin näherte. Er überwältigte sie und schlug seine Fänge tief in ihr Fleisch. Seit sehr langer Zeit nährte er sich wieder an einem Menschen. Der Geschmack war um ein Vielfaches besser als das Dosenfutter aus der Blutbank. Ihr sehnsüchtiges Stöhnen prallte an ihm ab, und als ihre geschwächte Hülle in seinen Armen zusammensackte, empfand er nicht einmal Reue für seine Tat. Seine selbst auferlegten Regeln hatte er alle gebrochen. Am liebsten hätte er sich gleich noch eine zweite zur Brust genommen. Nicht, dass er noch Durst gehabt hätte, er wollte ihnen wehtun, sie sollten leiden, so wie Leah ihn leiden ließ.
Als würde das etwas helfen. Angewidert und zutiefst von seinen Gedankengängen erschrocken, starrte er auf die Frau, die erschlafft in seinen Armen lag. Wie konnte er sich so gehen lassen? Ohne Hilfe würde sie die nächsten Stunden nicht überstehen. Er brauchte nicht lange zu überlegen, was zu tun war, um sie in eine Klinik zu befördern. Kurzerhand stellte er sich mit der Frau im Arm an den Straßenrand und hielt das erstbeste Auto an. Nachdem er den Fahrer gebannt und ein passendes Szenarium beschrieben hatte, ließ er die beiden allein zurück.
Wie ein verwundetes Tier lief er durch die Nacht, bis er erschöpft in eine nahe gelegene Höhle voller Fledermäuse einkehrte. Hier konnte er geschützt die Nacht verbringen und sich seine Wunden lecken. Die wenigen Stunden, die ihm verblieben, eine Endscheidung zu treffen, zogen sich endlos dahin. Am Ende hatte er sich so oft eingeredet, dass er Leah nicht brauchte, um glücklich zu sein, dass er es fast glaubte.
Als der Morgen dämmerte, entschied er sich, zu den anderen zurückzukehren. Ein Anführer sollte in der Lage sein, mit solchen Dingen besonnener umzugehen. Sein Alter allein sollte ihm solche Peinlichkeiten ersparen.
Reiß dich zusammen, es gibt andere Frauen, und wenn es keine Gefährtin oder Freundin ist, so gibt es doch genügend Dirnen, die den Rest der Ewigkeit erträglicher gestalten können
, war eine der Floskeln, die ihn durch die Nacht begleitet hatten. Sein Verstand arbeitete allerdings in entgegengesetzter Richtung. Je mehr er sich einzureden versuchte, dass er gut ohne Leah klarkam, umso mehr sagte sein Körper, dass das undenkbar war und reagierte mit unerträglichen Kopfschmerzen. In Wirklichkeit hatte er keine Ahnung,
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