Liebhaber der Finsternis
wollen doch die Herren da draußen nicht unnötig beunruhigen. Haben Sie wirklich geglaubt, wir sind dumm? Sagen Sie Ihren Freunden, sie sollen sich zurückhalten. Sie haben keine Chance. Ach, ich vergaß: Sie können ja leider nicht mehr reden. Wie unangenehm. Ich denke, Ihr Zustand wird als Warnung reichen. Sie können sich so schon mal an das Gefühl gewöhnen. So ist es für einen Vampir, wenn er in einem Grab liegt. Das nächste Mal wird es ein solches oder ein Käfig sein. Leider soll ich Sie als Botschaft zurücklassen. Ich muss jetzt los, genießen Sie die Ruhe“, sprach sie und verließ den Raum.
Die Kosmetikerin kam nicht weit, denn draußen wurde sie bereits von Jeqon abgefangen, der sie mit einer schnellen Handbewegung außer Gefecht setzte und zum Auto trug. Er warf sie in den Kofferraum. Cian kam gerade mit der Empfangsdame zurück, die er auf gleiche Weise in Kofferraum verstaute. Danach machten sie sich auf den Weg, um nach Leah zu sehen. Jeqon hatte Cians Einfall von Anfang an als Schnapsidee abgetan. Hoffentlich hatte diese Hexe ihr nichts Schlimmes angetan. Er hatte darauf bestanden, nach ihr zu sehen und als er sah, wie die Frau Leah eine Injektionsnadel in den Arm stach und sich kurz darauf die Jacke anzog und verschwinden wollte, ahnte er, dass etwas faul war.
Er riss die Tür auf und ging zum Stuhl. Er wusste, wie er auf sie wirkte. Sie hatte Angst vor ihm. Seine Entstellungen würden noch einige Jahre brauchen, bis sie gänzlich verschwanden und jetzt würde es sogar noch etwas länger dauern, denn das Blut, das er selbst so dringend für den Heilungsprozess benötigte, hatte er Leah überlassen. In wenigen Wochen würde er ihr weiteres Lebenselixier spenden. Er tat es gern, er mochte sie. Irgendwann würde sie spüren, dass er nur äußerlich hässlich war. Er war viel weniger ein Monster als Cian, der genau wusste, was er seinem Bruder antat. Ja, er wusste davon, er hatte neben ihm gestanden. Und er hatte dieses kleine Flirren in der Sekunde, in der er sie gebannt hatte, gesehen. Cian war geschickt vorgegangen, doch er war aufmerksamer als die anderen Vampire. Er würde es sich nicht mehr lange mit anschauen. Wenn er es nicht bald sein ließe, sich an seinem Bruder zu rächen, würde er Corben einen Zugang zu seinen Erinnerungen an jenen Abend ermöglichen.
Er rüttelte an ihren Schultern. Keine Reaktion. Im Entsetzen erstarrte Augen sahen ihn an.
Cian schob ihn beiseite. „Lass mich mal. Leah, verdammt, antworte. Was hat sie mit dir gemacht?“
Jeqon sah sich im Raum um. Auf einem Tablett lag eine geöffnete Ampulle. ‚Brugmansia‘. Er wusste was das bedeutete, diese Hexe hatte ihr das Gift der Engelstrompete verabreicht. Genug, um einen Menschen zu töten, aber sie war bereits tot. Wer wusste, was es bei ihr anrichtete? Jedenfalls war sie nicht ansprechbar, reagierte nicht und er hatte keine Ahnung, was dagegen helfen könnte. Er ging zu Cian und hielt ihm die Ampulle vor die Nase.
„Was? Gift? Wir müssen sie hier wegbringen. Halt die Tür auf, ich werde sie tragen“, befahl er und nahm sie auf den Arm.
Cian legte sie vorsichtig auf dem Rücksitz ab. Er sicherte sie mit einem Gurt um die Hüften, damit sie nicht in den Fußraum gleiten konnte. Sie fuhren los und kamen nur eine knappe halbe Stunde später in ihrem Refugium an.
Als Jeqon die Tür aufsperrte und Cian mit Leah auf dem Arm eintraf, verhielten sich alle wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Jeqon konnte das Gequatsche nicht länger ertragen. Er musste unbedingt ein paar Minuten allein sein und hoffte, Corben zu treffen. Alles geriet aus dem Ruder. Es war fast genauso schlimm wie damals bei der Explosion im Bordell. Irgendein kranker Spinner meinte, ein solches Etablissement gehöre nicht in seine ehrenwerte Stadt und ließ einen Sprengsatz hochgehen. Leider war Jeqon in dieser Nacht bei seiner Lieblingskurtisane. Sie starb in seinen Armen und mit ihr fast die ganze Belegschaft. Jeqon hatte es schwer erwischt. Trotz der intensiven Pflege, die der Clan ihm angedeihen ließ, heilten seine Wunden nur sehr langsam. Er hatte seitdem nicht mehr gesprochen. Es war nicht so, dass er seine Sprache verloren hätte, es war vielmehr Trauerbewältigung. Er hatte für diese Frau tiefe Zuneigung empfunden. Es ging so weit, dass er sich danach gesehnt hatte, ein Mensch zu sein. Er wollte sie nicht überdauern, aber er würde sie natürlich alle überdauern. So war es immer und würde es immer sein.
Er schnupperte in die Nacht.
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