Liebhaberstück Xenia (German Edition)
das Blut von seiner Wunde. Panisch überlegte ich, ob ich nicht schnell meine Hebammentasche aus dem Auto holen sollte, denn da hatte ich Desinfektionsmittel, Verbandsmull, alles.
Er riss mir das Tu ch aus der Hand und drückte es auf die Wunde.
S chwer atmend sank er gegen mich. Das Telefon fiel klappernd auf den Boden. Ich schloss die Arme um Thorsten. „Was kann ich noch tun?“, wisperte ich. Verdammt, ich war Hebamme und an Notfälle gewöhnt! Warum war jetzt mein Verstand wie leergefegt?
„Nichts, Kleines, bleib einfach so sitzen!“
„ Soll ich die Wunde nicht desinfizieren? Einen Verband anlegen?“ Gleichzeitig war mir bewusst, dass alles, was Thorsten brauchte, eine Operation war. Das andere wäre nur Kosmetik gewesen.
„ Quatsch! Der Scheiß-Verband wäre gleich durchgeweicht. Das Tuch ist besser. Hast du gesehen, wer geschossen hat?“ Seine Stimme klang besorgniserregend matt.
„Es war eine blonde Frau. Lange blonde Haare und ein Hosenbein. Ich konnte nicht mehr erkennen.“
„Caroline !“
„Deine Exfrau?“
„Sonst hasst mich meines Wissens niemand so.“
„Und wenn die Frau mich töten wollte und nicht dich ?“ Mir fiel der Kleinwagen von neulich ein, der mich fast überfahren hätte.
„Warum sollte man dich töten wollen? Nein, ich denke, es ist Caroline.“
„Soll ich nachsehen, ob sie noch da ist?“
„Nein. Sie ist längst … über alle Berge… war schon immer feige. Mich wundert, dass sie dafür überhaupt… den Mumm hatte.“ Von Wort zu Wort war seine Stimme schwächer geworden. Seine Augen fielen ihm zu.
„ Verdammt , Hartmann!“, fuhr ich ihn an. „Du wirst das hier durchstehen, ja? Sonst lernst du mich kennen, du Mistkerl!“ Schon wieder rannen mir Tränen über das Gesicht.
„Weißt du…“, nuschelte er kaum verständlich an meinen Busen, „… was ich mich…die ganze Zeit schon frage?“
„Was?“ Ich beugte mich näher zu ihm, um ihn besser zu verst ehen.
„Als du… mich vorhin zum Teufel … gejagt hast, hast du… mir angedroht, mir… Beine zu machen… und ich wüsste zu gern, wie… du das anstellen wolltest.“
„Da wäre mir schon was eingefallen. Soll ich nicht wenigstens die Wunde desinfizieren?“
„Nein, bleib einfach, wo du bist!“
„Wann kommt denn der verdammte Krankenwagen endlich?“
„Die lassen sich… echt Zeit. Die werden… von mir… einen solchen…Anschiss kriegen, ich werde denen… so was von… den… Arsch… aufreißen… dass… die…“
Weiter kam er nicht. Bewusstlos nickte sein Kopf nach unten.
Krankenhausatmosphäre hatte ich schon immer gehasst, diesen subtilen Hintergrundgeruch aus Desinfektion, Scheiße und Arzt-Ego. Deswegen war ich freie Hebamme geworden ohne Bindung an irgendeine Klinik.
Göttin, hilf ihm! Bitte hilf ihm, bitte! Hilf ihm!!!
Wie lange ich schon hier saß am Eingang zu den Operationssälen, wartend, verzweifelnd, betend, wusste ich nicht. Mir schien es, als würden sie ihn schon seit Ewigkeiten operieren.
„Frau Xenia Sachs?“
Unwillig blickte ich auf und sah einen gutaussehenden Mann mit kurzen, etwas wirr abstehenden braunen Haaren und freundlichen dunkelbraunen Augen. „Ich bin Hauptkommissar Reinold, und das ist Frau Schuster.“ Er deutete auf eine schlanke Frau mit blondem, emanzipiertem Kurzhaarschnitt.
War he ute Blondinentag, oder was?
„Wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen.“ Der Hauptkommissar rückte zwei Stühle heran, und beide setzten sich mir gegenüber, wobei sie einen Gutteil des Gangs blockierten. Unwillkürlich fragte ich mich, wie lange es dauern würde, bis das die resolute Krankenschwester auf den Plan rief, die mir vorhin den Eintritt in den OP-Bereich verweigert hatte.
„Haben Sie den Täter gesehen ?“, begann der Hauptkommissar. Seine Kollegin zückte ein Aufnahmegerät.
Und ich beschrieb ihnen alles, was sich zugetragen hatte, inklusive des Vorfalls mit dem Kleinwagen. Und meiner Personalien.
„Könnten Sie sich vorstellen, wer Sie oder Dr. Hartmann töten wollte?“ Hauptkommissar Reinold neigte sich vor und durchdrang mich mit einem Blick von professioneller Schärfe.
„Nein.“ Das konnte ich beim besten Willen nicht.
„Dann erst mal vielen Dank, Frau Sachs!“ Er erhob sich. „Wir werden den Eingang zu Ihrer Wohnung genau untersuchen. Erschrecken Sie also nicht, wenn Sie heimkommen und alles wimmelt von den Leuten der Spurensicherung. Wir werden sicher auch noch weitere Fragen haben und uns noch mal an Sie
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