Liebhaberstück Xenia (German Edition)
den Vorbereitungen am liebsten alles rückgängig machen, beschwichtigte mich aber selbst mit dem ultimativen Betrug, dem Generationen von Bräuten zum Opfer fallen, nämlich dass das ganz normal wäre und nichts zu bedeuten hätte.“
Ich wich einem Kind aus, das einen Stoffhund hinter sich herzog. „He ute weiß ich, dass jede Frau auf diese Intuition hören sollte.“
„Wann war deine Hochzeitsreise?“
Überfordert pustete ich die Luft aus. „Moment, das war Ende Mai 1990.“
Thorsten scha ute überrascht auf mich herab. „Wie bei mir meine erste Verlobungsreise!“
„Dann waren wir zur gleichen Zeit in Par is!“
„Nur mit den falschen Partnern.“ Sein Blick war sel tsam.
Meiner sicher auch.
„Wartet!“, rief Thorsten den Kindern hinterher. „Hier müssen wir über die Ampel!“
Grübelnd spürte ich, wie sich alte Gedanken in meinem Kopf zusammenschütteten zu einem besorgniserregenden Gebräu.
Die Schlange vor dem Aufgang zu den Türmen von Notre Dame war dann doch so lang, dass Thorsten es seiner Tochter ausreden konnte, sich anzustellen. Während wir von unten an der Fassade hoch spähten, konnten wir tatsächlich ein paar Wasserspeier entdecken. Dann betraten wir die Kathedrale.
Bei der Madonnenstatue kaufte ich den Kindern Kerzen. „Die könnt ihr zu den anderen stecken.“ Ich deutete auf die vielen kleinen Flammen, die zu den Füßen der Madonna innig flackerten als eine tanzende Schar von Hoffnungsfunken. „Wenn ihr sie anzündet, könnt ihr euch was wünschen von der Göttin.“
„Von der Göttin?“ Skeptisch zog Lisa die Augenbrauen z usammen. „In der Kinderbibel meiner Oma ist Gott ein Mann mit weißem Haar und ganz alt!“
„Und? Hast du das geglaubt?“
Sie grinste zurück wie über einen respektlosen Scherz, den wir uns gegen unantastbare Würdenträger wie ihre Oma oder die Kinderbibel erlaubten. Thorsten hörte sichtlich amüsiert zu.
„Weißt du, Lisa“, erklärte ich, „ das, was wir Gott nennen, kann viele Formen annehmen. Die Göttin ist eine davon. Als Mutter“, ich zeigte auf die Madonna, „oder auch als junges Frühlingsmädchen wie du.“
„Oder als Mann mit weißem Haar und ganz alt?“ Lisa legte fr agend den Kopf schief.
„Ja, wenn du ein Mann mit weißem Haar und ganz alt bist, kannst du das Göttliche auch so sehen.“
Lisa kicherte.
„Ich dachte, das wäre Maria und keine heidnische Göttin.“ Thorsten zeigte mit dem Kinn auf die Madonna.
„Die Energie, die hier überall spürbar ist“, erklärte ich, „ist älter als die Kirche. Als die Pfaffen den Menschen die Gö ttin verboten, nahmen sie sich Maria als Ersatz. Notre Dame - unsere Herrin - das klingt doch mehr nach der Göttin als nach der Magd des Herrn , zu was die Kirche die Göttin kastriert hat! Oder etwa nicht? Und so wie es hier aussieht, haben das auch die Steinmetze gewusst.“
Durchdrungen von der heil igen Erhabenheit der Kultstätte schaute ich Lisa zu, wie sie ihre Kerze in die Halterung steckte und erinnerte mich daran, wie ich als verträumte Schülerin einmal dasselbe getan hatte, als unsere Französischlehrerin einen Klassenausflug nach Paris organisiert hatte.
Soviel zu meinem Wunsch, mit dem Mann meines Lebens hierher zu ko mmen , dachte ich.
Ich fühlte, wie Thorsten von hinten an mich herantrat und seinen Arm um mich legte. Sofort durchflutete mich ein ungesunder Schwall von Liebe zu diesem Mann, dass es mir den Atem raubte.
Das kann nicht dein Ernst sein!
Alarmiert sah ich auf zur Madonna, die auf eine ärgerliche Weise unbeteiligt wirkte. Und doch spürte ich die Antwort in mir, die niederschmetternde Gewissheit, dass der Mann in meinem Rücken der war, den ich mein Leben lang gesucht hatte. Den ich für den Rest aller Tage lieben würde.
Das ist wohl ein Witz, klagte ich stumm die Göttin an. Er soll der Mann meines Lebens sein? Und das noch für ganze zwei, nein warte, sogar zweieinhalb Tage!
Zeit ist relativ.
War das die Stimme der Göttin oder mein Sarkasmus, der diesen Gedanken ausspie.
Das ist nicht fair!
Die Madonna juckte das überhaupt nicht, wie sie dastand in einem Meer kleiner Flammen, die irgendwelche leichtgläubigen, armen Teufel für sie angezündet hatten.
Am liebs ten hätte ich alle ausgeblasen!
Ruckartig löste ich mich von Thorsten, dreht e mich um und folgte meinem Sohn, der offenbar längst beschlossen hatte, dass sein Bedarf nach spiritueller Erbauung gestillt war, und sich demonstrativ in Richtung Ausgang
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