Liebhaberstück Xenia (German Edition)
zwei weibliche Teenager am Nachbartisch kicherten unkontrolliert.
Um Thorsten von weiteren Aktionen abzuhalten, zeigte ich auf Lisa, die herangehüpft kam.
„Darf ich mit Maxi noch mal fahren?“ Sie wies auf das Besucherboot, das gerade vorbei glitt. „Und ihr müsst aufpassen und winken! Und du musst ein Foto machen, Papa!“
„Ich fürchte, dafür reicht der Blitz von der Kamera nicht.“ Thorsten zeigte das Hartmann-Schulterzucken. „Es ist zu dunkel.“
Lisa zog eine süße Schn ute. „Aber ihr müsst winken!“
Das mussten wir mehrmals versprechen, bis Lisa zufri eden war.
Ich rief nach meinem Sohn, doch der ging an mir vorbei und warf mir über die Schulter zu: „Ich weiß schon! Ich lasse Lisa nicht aus den Augen! Und danach kommen wir sofort wieder her.“ Dann eilten beide aus dem Resta urant.
„Sie hat sich so gefreut über die Nicht-Geburtstagsfeier heute früh.“ Thorsten strahlte mich an. „Das war wieder eine deiner genialen Ideen, eine Geburtstagsfeier zu organisieren, auch wenn keiner Geburtstag hat.“
„Bei Alice im Wunderland feiern sie auch ihren Nicht-Geburtstag. Hast du den Film nie gesehen?“
„Hoffentlich sind die Bilder was geworden mit Mickey Mouse und der Torte! Dann hat Lisa was zum Herumzeigen in ihrer neuen Schule. Wieder so etwas, das wir dir zu verdanken haben! Lisa kann jetzt auf eine ganz normale Schule gehen, zwar zurückgestuft auf die zweite Klasse, aber immerhin.“
„In we lcher Schule war sie denn bisher? Als ich mit deiner Mutter die terminlichen Formalitäten für diese Reise hier abgeklärt habe, ging ich eigentlich davon aus, dass ich mich nach den Herbstferien richten musste. Ich war erleichtert, als mir deine Mutter versichert hat, dass das nicht nötig war, denn sonst hätte ich mit Maxis Chef wieder neu verhandeln müssen. Ich wollte in Lisas Anwesenheit aber auch nicht neugierig nachfragen.“
Thorstens Gesi cht überschattete sich mit alter Frustration. „Lisa kam mit keiner der verdammten Sonderschulen, pädagogischen Tagesstätten und Lernförderzentren zurecht. Wir haben sie alle durchgemacht.“
Solidarisch legte ich meine Hand auf seine. Schließlich wusste ich genau, wovon er redete, denn ich hatte mit Max auch einen aufreibenden Kinderpsychologen-Marathon hinter mir.
„Das Letzte, was wir versucht haben , war eine Gruppe von Pädagogikstudenten, die über Lisas Fall eine Diplomarbeit oder so was geschrieben haben. Lisa mochte diesen ausgeflippten Studentenhaufen. Ich erfuhr, dass sie sich mit Nachhilfe was dazu verdienten und habe ihnen ein paar Scheine in die Hand gedrückt. Die hat das Schulamt auf meinen Druck hin dann schließlich als ihre Privatlehrer akzeptiert, weil Lisa bei ihnen wenigstens ein bisschen Schreiben und ein bisschen Rechnen gelernt hat.“
„Freut sie sich schon auf die richtige Sch ule?“
„Ja, sie ist ganz aus dem Häuschen. Letzte Woche waren wir Schulranzen kaufen. Sie hat ihn sogar mit ins Bett g enommen. Nächste Woche geht’s für sie los.“
Lächelnd drückte ich seine Hand und wollte meine dann zurückziehen, doch Thorsten hielt sie fest und rückte seinen Stuhl näher an meinen heran. So saßen wir unter künstlichen Palmen und dem Geklimper des Piratenliedes, als wären wir ein Liebespaar.
Aber hier war Disneyland.
Hier durften wir das.
„Setz dich auch hin!“ Thorsten drückte mich auf die Treppenstufe neben Lisa und winkte einen weiteren Straßenmaler heran, der sogleich geschäftstüchtig meine Gesichtsproportionen abmaß.
„Dann du aber auch!“ Ich gab einem langhaarigen, erbärmlich mageren Jüngling mit Zigarettenkippe ein Zeichen. Zwar sah er aus wie ein cracksüchtiger Kleinkrimineller, doch seine Kohlezeichnung eines Transvestiten, die neben seinen anderen Werken in einer zerschlissenen Plastikhülle auf dem Boden lag, verriet virtuoses Talent.
So saßen wir alle vier nebeneinander auf der Treppe vor dem Centre George Pompidou wie die Hühner auf einer Leiter und wurden von vier Straßenkünstlern porträtiert.
He ute war unser Paristag, damit das Modell von Jules Vernes’ Nautilus in Disneyland nicht das einzige kulturelle Highlight dieser Reise für die Kinder darstellte. Soeben hatten wir eine kontrastreiche Wanderung zwischen verspielten Künstlerphantasien und flippigen Farborgien im Zentrum für moderne Kunst hinter uns, was die Kinder dazu motivierte, selbst für die bildenden Künste Modell zu stehen.
„Wo wollt ihr anschließend hin?“ Fragend blickte ich die
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