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Liebling der Götter

Liebling der Götter

Titel: Liebling der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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Stadtrand von Delphi hatte Betty-Lou gerade ihrer Volontärin die Erschaffung der Welt und die daraus resultierenden Folgen erklärt.
    »Hast du das jetzt alles verstanden, oder wäre es dir lieber, wenn ich noch mal alles wiederhole?« fragte Ms. Fisichelli.
    »Nein, das reicht«, antwortete die Volontärin und nahm sich eine Handvoll Oliven. »Was passierte danach?«
    »Nachdem Prometheus dem Höhlenmenschen den Witz erzählt hatte, waren natürlich sämtliche Götter außer sich, und einige von ihnen drehten sogar völlig durch.«
    »Ach, wirklich?« staunte die Volontärin, wobei sie sich mit einer übertrieben grazilen Geste einen Olivenkern aus dem Mund nahm. »Und dann?«
    »Als sie sich wieder gefangen hatten …«
    »Möchtest du auch eine Olive?«
    Ms. Fisichelli zögerte. »Nein danke.«
    »Die sind wirklich gut, Betty.«
    »Na ja, wenn du meinst …«
    Kurz darauf spuckte die Pythia einen Kern in den Aschenbecher und fuhr fort: »Als sie sich wieder gefangen hatten, faßten sie gemeinsam den Beschluß, alle Möglichkeiten abzuklopfen, was sie dagegen unternehmen könnten. Deshalb schnappten sie sich als erstes Prometheus, ketteten ihn an einen Felsen irgendwo da oben im Kaukasus und holten sich diesen Adler …«
    »Erzähl nur weiter«, sagte die Volontärin, die aufgestanden war und nun quer durchs Zimmer zu dem Tablett mit den Getränken ging. »Ich höre die ganze Zeit zu.«
    »Also, die haben sich diesen Adler besorgt …«
    »Möchtest du auch etwas?«
    »Nein danke.« Zweifellos war Mary eine geborene, nahezu instinktgesteuerte Pythia, aber manchmal wünschte sich Betty-Lou, ihr fiele nicht alles so leicht. Als sie sich damals noch selbst in der Grundausbildung befunden hatte, hatte sie den Stoff nächtelang auswendig lernen müssen. »Jedenfalls haben die sich diesen Adler besorgt, und seither reißt er mit dem Schnabel morgens und abends Prometheus’ Leber heraus.«
    »Das ist ja widerlich!«
    »Und jeden Nachmittag und jeden Abend wächst die Leber wieder nach«, fuhr Ms. Fisichelli leicht angeekelt fort. »Das ist nämlich die Strafe, die Prometheus für seinen Verrat an den Göttern erhalten hat.«
    Mary saß mittlerweile wieder mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Sofa, hatte den Mund voll Oliven und Retsina und nuschelte: »Hast du nicht noch etwas vergessen?«
    »Was denn?«
    »Du weißt schon, daß er eines Tages von seinen Ketten befreit wird und …«
    »Ach ja, richtig. Eines Tages, so wird prophezeit, kommt ein Held, der die Ketten durchtrennt, den Adler erschlägt und den Gott befreit …«
    »Bist du dir sicher?«
    Die Pythia runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
    »Na, in bezug auf den Adler. Der Teil klingt nicht ganz richtig.«
    »So? Und wieso nicht?« stutzte Betty-Lou.
    Mary zuckte die Achseln und holte sich erneut einen Olivenkern aus dem Mund. »Ach, ich weiß nicht, einfach nur so. Aber nichts für ungut, erzähl weiter.«
    Betty-Lou faltete die Hände auf dem Schoß und fuhr fort: »Als nächstes versuchten die Götter, einen Plan zu entwickeln, mit dem man das Lachen von der Erde verbannen könnte. Unglücklicherweise schlugen sämtliche Versuche fehl; welchen Schaden die Götter den Sterblichen auch zufügten, die Menschen weigerten sich standhaft, das Lachen aufzugeben. Folglich ist der göttliche Plan bis heute noch nicht aufgegangen, und das Lachen liegt irgendwo verborgen im Erdinnern, und zwar so tief versteckt, daß es nicht einmal von dem geflügelten Götterboten Merkur gefunden werden kann. Eines Tages aber, so steht es geschrieben, wird ein junger Halbgott, ein Sohn von Jupiter höchstpersönlich, das Versteck dieses impertinenten Plagegeistes entdecken und ihn in den Himmel zurückbringen, wo er hingehört. Dann kehren die Götter auf die Erde zurück, sie werden wieder, wie es sich geziemt, von den Menschen geachtet, und das neue Goldene Zeitalter bricht an …«
    An dieser Stelle unterbrach die Pythia die Erzählung, denn die Volontärin blickte sie wieder einmal auf ihre so typisch vorwurfsvolle Weise an. »Ist irgendwas?« fragte Betty-Lou gereizt.
    »Ein neues Goldenes Zeitalter?«
    »Richtig!« bekräftigte die Pythia mit Nachdruck. »Was dagegen?«
    »So golden wie das erste, wie?«
    »Ja, selbstverständlich«, antwortete die Pythia mit fester Stimme. Nach ihrem Dafürhalten durfte es ja wohl nichts dagegen einzuwenden geben, oder etwa doch?
    »Demnach handelt es sich dabei um jene Zeit, als wir Sterblichen noch in Höhlen lebten, Felle

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