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Liebling der Götter

Liebling der Götter

Titel: Liebling der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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trugen und rohes Fleisch aßen, weder lesen noch schreiben konnten, bereits im jungen Alter an schrecklichen Krankheiten starben, von wilden Tieren gefressen wurden, uns vor der Dunkelheit zu Tode fürchteten und keinen müden Gedanken daran verschwenden konnten, über irgend etwas zu lachen, da wir ausschließlich ums nackte Überleben zu kämpfen hatten.«
    »Ja.«
    »Und das soll das Goldene Zeitalter gewesen sein?«
    »Ja.«
    »Na gut, ich verstehe«, seufzte die Volontärin. »Entschuldige, daß ich dich unterbrochen habe.«
    »Nun ja, ich denke, das reicht auch für heute, oder was meinst du?« fragte Ms. Fisichelli. »Außerdem ist es schon spät, und ich muß noch ein paar Aufsätze korrigieren und benoten.«
    »Na gut«, stimmte Mary zu und erhob sich in entzückender Manier vom Sofa. »Vielen Dank noch mal für alles, und wir sehen uns dann ja morgen auf dem Seminar.«
    »Ja, ja, natürlich«, sagte die Pythia abwesend. »Frühe klassische Epigraphik, richtig?«
    »Die Anwendung von Computern in der modernen Archäologie«, korrigierte Mary sie. »Oder ist das erst am Freitag dran?« fügte sie freundlicherweise hinzu.
    »Nein, du hast schon recht. Wo bin ich nur mit meinen Gedanken? Also, dann bis morgen.«
    »Gute Nacht«, verabschiedete sich Mary.
    »Gute Nacht.«
    Die Pythia horchte auf das leise Klicken der sich schließenden Tür und sammelte sich dann, um in Ruhe nachzudenken. Wie sie sich selbst ins Gewissen redete, gehörte es zu ihren Aufgaben, aus den Archäologiestudentinnen, die ihrem Unterricht auf der amerikanischen Schule beiwohnten, eine geeignete Nachfolgerin herauszusuchen, und im großen und ganzen war sie davon überzeugt, die richtige Wahl getroffen zu haben. Diese Begabung. Diese Intuition. Diese Lernfähigkeit. Sogar eine Griechin, wenn auch nur mütterlicherseits, denn Marys Vater war ein recht phantasieloser Bergbauingenieur aus Pennsylvania. Es war fast so, als würde sie immer schon alles im voraus wissen, und dennoch war an dieser Mary Stamnos irgend etwas nicht ganz in Ordnung.
    »Irgend etwas stinkt da zum Himmel, verdammter Mist!« fluchte Betty-Lou leise vor sich hin, während sie auf zwei Untertassen etwas Milch goß (eine war für ihre Katze, die andere für die heilige Schlange). »Ich muß es ihm sagen.«
     
    »Also, wo hat er die ganze Zeit gesteckt?« wollte Minerva wissen.
    »Essen«, antwortete Apollo.
    Minerva runzelte verärgert die Stirn. »Soweit ich mich erinnere, habe ich dich nicht gefragt, was er getan hat, sondern wo er gewesen ist.«
    »Er hat in irgend so einer Dorfkaschemme im Kaukasus etwas gegessen«, antwortete Apollo, wobei er sich alle Mühe gab, gegenüber seiner Schwester keinen allzu heftigen Ton anzuschlagen.
    »Die ganze Zeit?«
    »Ja«, bekräftigte Apollo. »Merkur hat sich extra den Kellner vorgeknöpft. Alles stimmt genau überein. Er ist den ganzen Tag in diesem Lokal gewesen. Der Kellner kann sich sehr gut an ihn erinnern, weil Jason ihm so viel Trinkgeld gegeben hat, daß er nun, wie er sich ausgedrückt hat, eine eigene Traktorenfabrik oder so was aufmachen kann. Das ist alles.«
    Minerva blickte ihn mit finsterer Miene an. »Nein, merk dir meine Worte, irgend etwas ist da vorgefallen, und die einzig mögliche Erklärung dafür ist, daß jemand ganz Bestimmtes darin verwickelt ist.«
    »Ich weiß es wirklich nicht.«
    »Was weißt du nicht?«
    »Wer darin verwickelt sein soll.«
    Minerva machte eine abfällige Geste und ahmte dann lachend jemanden nach, der einen Fenchelstrunk bei sich trägt.
    »Ach, den meinst du. Nein, Merkur hat ihn offensichtlich ausgiebig befragt«, widersprach Apollo rasch. »Den Adler natürlich auch. Nichts. Nach seinem Dafürhalten haben die nicht gelogen, sonst hätte er es mitbekommen. Merkur ist manchmal ganz schön gerissen, und er versteht was vom Lügen … ist ja so ’ne Art Hobby von ihm, und deshalb …«
    An der Art und Weise, wie Minerva ihn ansah und wie die Eule auf ihrer Schulter in die Flügelfedern hineinkicherte, stellte er fest, daß seine große Schwester nicht überzeugt davon war. Aber was soll’s? Ich bin’s ja auch nur zum Teil, dachte er. Ich will nur endlich Mini vom Hals haben, damit ich die Geschichte selbst überprüfen kann.
    »Eins steht jedenfalls fest«, fuhr er fort. »Es wurde kein Schaden angerichtet. Auftrag ausgeführt, zehn Zentauren zu Hackfleisch verarbeitet, das Goldene Vlies wiedererlangt und in den heiligen Hain von Blachernas [6] zurückgebracht. Deshalb halte ich

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