Liebling der Götter
verriegelt.
Seufzend klopfte er an. »Nun mach schon auf!«
»Hau ab!«
»Das geht nicht. Tut mir leid.«
»Nichts tut dir leid«, prustete die Stimme verächtlich.
Jason fuhr mit dem Finger über die Klinge des Schwerts von Glykerion und rieb den bereits auf Hochglanz polierten Schild noch einmal mit dem Taschentuch ab.
»Ich will damit nur sagen, daß ich das alles nicht zum Spaß mache. Wenn’s nach mir geht, dann ist mir das völlig egal, was du treibst. Wenn du darauf bestehst, Menschen mit deinem Blick versteinern zu müssen, dann mußt du das mit dir und deinem Gewissen ausmachen. Aber ich muß meine Arbeit erledigen, und das werde ich auch tun. Also können wir das Ganze jetzt entweder auf die harte oder auf die sanfte Tour hinter uns bringen.«
Nach längerem Schweigen sagte die Stimme: »Und wie sähe die sanfte Tour aus?«
»Du kommst raus, und ich schlage dir mit dem Schwert den Kopf ab. Das ist alles.«
»Ich verstehe, dann sollten wir’s lieber auf die harte Tour versuchen, findest du nicht?«
»Ich verstehe überhaupt nicht, warum du so ein Theater machst. Schließlich bin ich hier derjenige, der Angst haben müßte. Du brauchst mir doch nur in die Augen zu schauen, und schon verwandle ich mich zu Stein, stimmt’s? Ich muß meinerseits die Tür einschlagen, natürlich dabei aufpassen, dich nicht anzusehen, dann mit dir kämpfen, mich irgendwie vorsehen, daß ich nicht von deiner Haarpracht gebissen werde, dir den Kopf abschlagen und deine Einzelteile in einen schwarzen Plastiksack stecken. Jetzt frag dich doch mal selbst, was es bringt, erst einmal solch einen Flurschaden anrichten zu müssen, wenn wir’s auch einfacher haben könnten.«
Jason erhielt keine Antwort. Nach einer kurzen Überlegungsphase lief er durch die Küche nach draußen und ums Haus herum zur Vordertür zurück. Sie stand offen.
»Verdammter Mist!«
Wütend hielt er sich den Schild so vor die Augen, daß sich darin die Umgebung widerspiegelte. Direkt neben der Tür lag eine Statue auf dem Boden, die dort vorher noch nicht gelegen hatte. Jason tat so, als hätte er nichts davon bemerkt, und pfiff unauffällig vor sich hin, denn seinen nächsten Schritt hatte er sich genau überlegt.
»Aua!« schrie die Gorgo kurz darauf.
»Selbst schuld«, stellte Jason lakonisch fest. »Vergiß nicht, daß ich dir die Wahl gelassen habe. Jetzt könnte es ein wenig weh tun.«
»Das ist Betrug.«
»Unsinn.«
»Wenn du so tust, als gingest du weg, und kommst dann plötzlich zurück und stülpst mir einen Blumentopf über den Kopf, dann nenne ich das jedenfalls Betrug, egal, als was du das bezeichnest. Ein echter Held hätte so etwas niemals getan.«
Jason wies die Gorgo darauf hin, daß die Auffahrt von einigen höchst realistisch aussehenden Statuen echter Helden umsäumt werde, auf denen selbst in den unmöglichsten Ecken und Winkeln Vögel nisteten.
»Das ist Betrug!« empörte sich die Gorgo.
»Das hast du dir selbst zuzuschreiben«, erwiderte Jason. »Andere Leute begnügen sich mit irgendwelchen Gartenzwergen, die Schubkarren ziehen oder eine Angelrute in die Regentonne halten; aber nein, du mußtest ja unbedingt etwas Besonderes haben.«
»Und was ist daran falsch?«
»Nichts, solange du nicht überall große Blumentöpfe herumliegen läßt. Man sollte nie zwei Dinge auf einmal machen. So, was jetzt kommt, ist etwas kompliziert, halt also bitte still …«
Ein Schlangenkopf stieß durch das im Boden des Blumentopfs befindliche Loch und zischte Jason gehässig an.
»Rüpel!« fauchte die Gorgo.
»Ach, halt’s Maul! Jetzt laß uns mal den Stein ins Rollen bringen.« Jason blieb unnachgiebig. »Also …« Er preßte der Gorgo den rechten Fuß ins Kreuz, holte mit dem Schwert weit nach oben aus und wollte gerade zuschlagen, als er etwas sah.
»He, nun mach schon weiter, ja?« beschwerte sich die Gorgo.
»Jetzt wart’s doch ab. Etwas mußt du dich schon noch gedulden können.« Er blickte zum Himmel oder, genauer gesagt, zu einem Adler hinauf.
Es sollte gleich betont werden, daß Jason nie ein Vogelbeobachter gewesen war; was immer er in seinem Leben getan oder auch nicht getan haben mochte, diesbezüglich verfügte er über keinerlei Wissen. Unter normalen Umständen interessierte er sich für diese Tiergattung auch nur dann, wenn ihm ein Vogel zwischen Bratkartoffeln und Butterbohnen auf einem Teller präsentiert wurde. Doch dieser Vogel war schon deshalb etwas Besonderes, weil er von einer Wagenladung
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