Liebling, Ich Kann Auch Anders
ganze Potenzial immer noch verfügt, und es lediglich in unserem Alltag untergegangen ist. Wenn ich einen Weg finden könnte, ihn von seiner Sucht wegzubringen und seine Kreativität aufs Neue für unsere Beziehung zu aktivieren, dann könnte das grandios werden!«
Eva staunte gleichermaßen über Francis’ Toleranz und ihren Optimismus. Für die meisten Frauen wäre der Bart unwiderruflich ab gewesen.
»Möglich … Aber leicht wird es sicher nicht werden, Magnus zu einer Therapie zu überreden.«
Francis verdreht die Augen. »Oh nein, sicher nicht! Dafür braucht es gewiss zwingende Argumente. Ich sage bewusst zwingende – bestechende reichen nicht!«
»Aha – und was schwebt dir da vor?«
Francis tippte an ihre Stirn. »Wir arbeiten noch daran. Ich werde dich rechtzeitig informieren und möglicherweise um Mitarbeit bitten.«
Die beiden verbanden den Telefonkauf mit einem Ausflug nach Zürich. Sie nahmen den Zug, weil es bequemer war und so die lästige Parkplatzfrage unterblieb. Die Schaufenster in der Bahnhofstraße gewährten Blicke auf zahlreiche Millionen Franken in Form funkelnder Juwelen und anderer Luxusgüter.
Im Handyladen in einer Seitenstraße bediente sie eine freundliche blonde, blasse junge Frau. Francis entschied sich für ein kleines leicht zu handhabendes Natel-Gerät, und Eva gestattete ihr aus Sicherheits- und Tarnungsgründen, ihren Namen in den Kaufvertrag einzusetzen.
Ein Anschlag mehr auf Marcel P., dachte sie, als sie der Verkäuferin den unterschriebenen Vertrag reichte. Zweifellos falle ich Magnus allein durch meine Anwesenheit in seinem Hause unerträglich auf die Nerven. Wenn er jedoch im Detail wüsste, welche Lawine ich bei seiner einst so angepassten Ehefrau losgetreten habe, würde er mich sicher kalt lächelnd erwürgen.
Francis ließ sich im Übermut des Augenblicks das Gerät als Geschenk einpacken, und Eva lud sie zu Lindt und Sprüngli am Paradeplatz in die Café-Bar ein, wo sie zwischen vielen Touristinnen, die mit zahlreichen Päckchen beladen waren, ihr Kalorienkonto aufs Köstlichste belasteten.
Für den sportlichen Ausgleich charterten sie anschließend ein Tretboot und strampelten damit eine halbe Stunde unter Gekicher und Gelächter auf dem See herum.
Danach gelüstete es sie nach Kultur. Sie begaben sich ins Kunsthaus, wo sie ganz fasziniert waren von der Sonderausstellung zum Lebenswerk Albert von Kellers, dem Schweizer Mitbegründer der Münchner Secession. Der Maler, der zu seiner Zeit höchstes Ansehen genoss, liebte die Frauen, und es gefiel ihm, ihre Schönheit in der Atmosphäre opulenter Salons darzustellen. Seine Vorliebe für Hypnose und spiritistische Sitzungen fand ebenso Niederschlag in seinem Werk. Außerdem fühlte er sich stark von Chopin und Wagner inspiriert. Alle diese Eindrücke und Informationen bewegten die beiden Frauen zu Betrachtungen und Spekulationen über die Kulturszene und das Geschlechterverständnis zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Und beide fanden es reizvoll, sich Gedanken darüber zu machen, wie es wäre, die Salonkultur neu zu beleben.
Als sie sich schließlich auf den Rückweg zum Bahnhof machten, blickten sie vom Bellevue-Platz aus über den See und die Uferpromenaden.
Francis war plötzlich der Ansicht, mit dem Verzicht auf einen Einkauf in der Bahnhofstraße stünde ihnen zumindest eine kleine Belohnung zu. Deshalb lud sie Eva auf ein Chüpli
im Baur au Lac ein, dem renommierten Hotel, in dem schon Thomas Mann gern für inspirierende Aufenthalte (u. a. in Sachen Felix Krull) logiert hatte.
Sie genossen das Flair der internationalen Klientel und spekulierten über einige extrem ungleiche Paare, während sie an den streng dreinblickenden Herrn in dunklen Anzügen zunächst wenig Rätselhaftes fanden.
Als der Champagner serviert wurde, stießen sie behutsam an und tranken auf ihre anregende Freundschaft. Plötzlich gab Francis Eva mit den Augen zu verstehen, sie möge zu einem der Tische blicken, an dem eine Sechsergruppe ernsthaft diskutierender Geschäftsmänner versammelt war. Eva schaute hin. Beide fingen gleichzeitig zu kichern an und setzten ihrer Kommunikation stumm, doch mit beredten Blicken fort.
»Wo darf ich Ihnen heute den Scheitel ziehen, mein Herr?«, lästerte Eva, als sie schließlich das Lokal verlassen hatten. »In der Achselhöhle oder über dem Schambein?«
»Sieben Scheitel hatte der eine«, prustete Francis.
»Unglaublich! So ein Aufwand – nur um anschließend auszusehen wie
Weitere Kostenlose Bücher