Liebling, Ich Kann Auch Anders
sagte, bis das Sommersemester beginne, sei sie über alle Berge.
Die Protokolle der schwulen Männer glichen zu zwei Dritteln denen der Studentinnen, das andere Drittel beklagte sich, dass die Partner Leichtigkeit vermissen ließen und zu sehr klammerten. Das war auch einer der meist genannten Vorwürfe der jungen Männer, die Frauen suchten. ›Die Auswahl ist viel zu gering, da musst du ja auf jede Anzeige schreiben, wenn du was erreichen willst‹ / ›Die wenigsten sehen was gleich und lassen dich nicht wieder los.‹ / ›Im Internet findest du vor allem Frauen, die in der Öffentlichkeit keiner anschaut‹, waren weitere Kommentare.
»Eins dürfte klar sein«, stellte Leonardo fest, »die Leute gehen mit völlig unterschiedlichen Erwartungen an die Sache ran.«
»Logo. Abhängig von den Prioritäten. Kürzlich habe ich in diesem Zusammenhang etwas Interessantes gelesen: Bei einem Wettbewerb unter Werbetextern, in dem es ausschließlich darum ging, wer mit seiner Annonce am meisten Resonanz erhielt, gewann haushoch eine Frau. Und zwar mit vier dürren Wörtern: ›Ficken: Frau sucht Mann.‹ Zum Spaß können wir uns ja mal vorstellen, wie die Reaktion ausgefallen wäre, wenn ein Mann auf diese Art inseriert hätte …«
»Resonanz nahe null.«
»Genau. Abgesehen von den Professionellen. Es ist eben eine Illusion, den Unterschied zwischen den Geschlechtern als klein zu bezeichnen.«
»Sind wir Männer denn so primitiv?«
»Anscheinend.«
»Deckt sich das mit deinen Erfahrungen?«
»Na ja, frag lieber nicht! Aber mit dem Chat habe ich überhaupt keine Erfahrung.«
Als Leonardo meinte, dafür sei es allmählich an der Zeit, entschloss sich Eva, endlich die klaffende Bildungslücke zu schließen. Leonardo versorgte sie mit Tipps und half ihr, ein anonymes Postfach einzurichten. Dann gab er ihr die Internetadresse des Lake.Café, in dem er überwiegend verkehrte. Diese virtuelle Plattform verfügte neben einem allgemeinen Quasselforum, dem Lake.Chat, auch über eine individuelle Sparte im Stil der Partnerschaftsanzeigen in Printmedien, das Lake.Single-Café und das Lake.Pinboard, wo alle möglichen anderen Annoncen platziert werden konnten wie auf einem Schwarzen Brett.
Eva schaute in alle drei rein, blieb dann aber im Single-Café hängen, las die Anzeige mit Interesse und beschloss, selbst eine zu formulieren. Selbstverständlich ausschließlich um wissenschaftlicher Studien willen – an einem quasi humanitären Projekt …
Dennoch nahm sie billigend in Kauf, dass sich bei dem Unternehmen tatsächlich etwas ergeben könnte. Vielleicht ein Gegengift zur Neutralisierung oder Eliminierung der letzten Reste ihrer Liebe zu Ruben.
Ruben. Wie ich ihn hasste, diesen arroganten zwangsneurotischen Filmregisseur! Sibylle teilte meine Einschätzung. Obwohl sie Evas Aufbruch nach Konstanz mit äußerster Skepsis aufnahm, sah sie darin einen einzigen positiven Aspekt: Unsere Freundin würde Ruben nicht mehr zufällig begegnen. Ruben verfügte nämlich über das Talent, Eva immer gerade dann über den Weg zu laufen, wenn sie sich an seine Abwesenheit gewöhnt und eingesehen hatte, dass sie ohne ihn eigentlich ganz prima zurechtkam. Und dann gelang es ihm jedes Mal aufs Neue, sie in seine luxuriöse Pedanten-Wohnung zu schleppen und ihre immer noch vitale Überzeugung aufzuwärmen, so großartig wie mit ihm könnte es mit keinem anderen sein. Was sie als Liebesakt ansah, war für ihn toller Sex, den er genoss, so oft es ihm passte. Und Eva hatte es in der Vergangenheit sehr oft passend gemacht. Sie ließ weiß Gott welche wichtigen und großartigen Einladungen und Gelegenheiten sausen, um sich Ruben und der Liebe hinzugeben. Er war ihr Lebensinhalt.
Wenn er da war – was zum Glück nicht allzu oft vorkam –, rückte alles andere auf die hintersten Ränge. Job, Freundschaften, Interessen – alles verschwand im grauen Dunst außerhalb der großen umhüllenden Glasglocke ihrer glanzvollen Liebe zu Ruben.
Im Bett schien er ja wirklich großartig zu sein. Außerhalb des Bettes benahm er sich ihr gegenüber jedoch wie viele eingefleischte Ehemänner: anmaßend, unaufmerksam, rücksichtslos und geizig. Vier Jahre ihres Lebens – zwölf Komma fünf Prozent ihrer Existenz auf Erden und sogar fünfunddreißig ihres Lebens als Erwachsene hatte sie inzwischen an diesen egomanischen Gefühlskrüppel gehängt. Letztes Mal hatte sie sich aber fest vorgenommen, nun sei es endgültig aus. Zu schön, um wahr zu
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