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Lieblingslied: Roman (German Edition)

Lieblingslied: Roman (German Edition)

Titel: Lieblingslied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K.A. Milne
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Monat‹.«
    »Ich weiß. Ich bin spät dran. Habe ich mich damit strafbar gemacht?«
    »Wieso zu spät?«, entgegnete Reg. »Bei diesen Dingen kommt es nicht auf die Sekunde an. Wichtig ist nur, dass wir die Wünsche der Patienten nach bestem Wissen und Gewissen ausführen. Außerdem hat der Monat dreißig Tage. Sie sind also durchaus in der Zeit.«
    Ich warf einen Blick auf Anna. »Hast du das gehört, Anna? Diesmal bin ich endlich pünktlich.«
    »Ethan, nachdem Sie uns das Dokument übergeben haben, nehme ich an, dass es auch in die Tat umgesetzt werden soll, oder?«
    Hope stellte sich neben mich. Ich legte eine Hand auf ihre Schulter, zog sie an mich und schluckte schwer. »Ja, es ist Zeit, loszulassen.«
    Er nickte. »Es ist gut, dass Ihre Tochter noch Zeit bei ihrer Mutter verbringen kann. Ich schlage vor, wir warten noch vier oder fünf Tage. So lange dauert es, bis die Juristen alles Nötige erledigt haben. Inzwischen sollten Sie die Familie benachrichtigen, ihr Gelegenheit geben, sich ebenfalls zu verabschieden. Was meinen Sie?«
    Hope und ich sahen uns an. Wir nickten beide.
    »Dr. Rasmussen«, fuhr Reg fort. »Meinen Sie, das Ärzteteam ist damit einverstanden?«
    »Wir besprechen das«, antwortete er. »Aber angesichts von Annas Zustand kann es eigentlich keine Einwände geben. Ethan, nehmen Sie sich die Zeit, die Sie benötigen, damit sich alle von Ihrer Frau verabschieden können. Danach schalten wir das Dialysegerät ab. Es sollte alles schnell und schmerzlos gehen. In Ordnung?«
    Wie gern hätte ich ihm gesagt, wie entsetzlich das alles in meinen Ohren klang und dass ich es eigentlich nicht übers Herz brächte. Das Dialysegerät abschalten, damit das Gift sie umbringt? Wie viel leichter wäre es gewesen, gleich von Anfang an die künstliche Beatmung abzuschalten oder keine Wiederbelebungsversuche zu unternehmen, als ihr Herz im Krankenwagen und später im OP aufgehört hatte zu schlagen. Aber auch diese Entscheidung hätte ich nicht treffen können. Ich wusste, dass das Abschalten des Dialysegeräts der humanste Weg war. Unheilbar Kranke taten dies immer wieder selbst, wenn der Kampf gegen die Krankheit eine zu große Bürde wurde. Und ich wusste, dass Anna keine Schmerzen haben würde.
    »In Ordnung«, murmelte ich. »Noch fünf Tage.«

26
    HOPE BESTAND DARAUF, DIE NACHT mit mir im Krankenhaus zu verbringen, was ich ihr nicht abschlagen konnte. Es bedeutete, dass sie im zweiten Krankenhausbett schlief, während ich mich wieder mit dem Liegesessel begnügen musste. Ob es der unbequeme Stuhl oder die Karussell fahrenden Gedanken waren, ich konnte jedenfalls nicht schlafen. Als Hope tief und regelmäßig atmete, stand ich auf und ging im spärlich beleuchteten Raum auf und ab. Im Schatten der Zimmerecke zwischen den beiden Fenstern konnte ich die dunklen Umrisse von Großvaters Gitarrenkasten erkennen.
    Ich hatte das Instrument gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Aber in jener Nacht erschien mir der Gedanke, Karl in die Hände zu nehmen oder mich zumindest wieder mit seinem Anblick anzufreunden, gar nicht mehr so abwegig.
    Zögernd ging ich auf die Zimmerecke zu, packte den Griff des Kastens und ging damit zum Liegesessel zurück. Ich setzte mich, knipste eine kleine Leselampe an der Wand über der Rückenlehne an und legte den Kasten auf meine Knie. Ich hatte ihn das letzte Mal etliche Monate vor dem Unfall geöffnet, spätnachts, vor einer Geschäftsreise, die mich für zwei Wochen fort von meiner Familie führte. Anna hatte mich gebeten, vor meiner Abreise für sie zu spielen. Ich hatte ihre Bitte mit einem kleinen Song vor dem Einschlafen erfüllt.
    Langsam öffnete ich die beiden Schnappverschlüsse am Deckel. Am meisten Angst hatte ich davor, was mich im Inneren des Kastens erwartete. Jedes Mal, wenn mein Blick im vergangenen Monat auf den Gitarrenkasten gefallen war, hatte ich gewusst, worauf ich beim Öffnen stoßen würde: Verschlossen in einem rosafarbenen kleinen Umschlag, der zwischen den Saiten steckte. Zum ersten Mal in unserer Ehe war ich nicht sicher, dass ich lesen wollte, was Anna mir zu sagen gehabt hatte. Es erschien mir ungerecht, dass die letzten Worte, die ich von ihr je hören würde, schon Monate zuvor geschrieben worden waren.
    Mit zitternden Fingern schlug ich den Deckel zurück. Mein Blick zuckte unstet über den Gitarrenhals zu der Stelle, wo üblicherweise ihre Nachrichten zwischen den Saiten steckten. Ich erstarrte.
    Da war keine Nachricht. Nirgends.
    Ich wusste

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