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Lieblingslied: Roman (German Edition)

Lieblingslied: Roman (German Edition)

Titel: Lieblingslied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K.A. Milne
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Gitarrenspiel gebracht? Sieh dich an, Anna! Wenn ich nie gespielt hätte, hätten wir nie den Wunsch gehabt, Hope das Gitarrenspiel beizubringen. Ich hätte dich nie gebeten, eine Gitarre zum Geburtstag zu besorgen, und du würdest jetzt nicht hier liegen. Ich weiß nicht, ob du Großvaters Geschichte über seine Gitarre gehört hast. Ich jedenfalls habe sie gehört. Dieses Instrument zieht das Unglück geradezu magnetisch an. Ich habe genug davon. Ich spiele nicht mehr. Nie mehr!«
    Ich zog die Decke bis unter das Kinn, lehnte mich auf dem Liegesessel zurück und knipste das Licht aus.

23
    OBWOHL ICH DAMALS NOCH ein Kind gewesen war, erinnere ich mich lebhaft, wie mein Vater zusammengebrochen war, nachdem uns meine Mutter »verlassen« hatte. Zuerst versuchte er, standhaft und mutig zu sein. Eine Fassade, die er allerdings nur wenige Wochen aufrechterhalten konnte. Eines Tages, im ersten Schuljahr, kam ich nach Hause und fand ihn bewusstlos auf der Couch, während er eigentlich an seinem Arbeitsplatz hätte sein müssen. Ich versuchte, ihn wach zu rütteln. Vergebens. Ich rüttelte noch fester und schrie seinen Namen, doch auch das funktionierte nicht.
    In panischer Angst wählte ich die Nummer der Notrufzentrale.
    Dad war wie benommen, verwirrt und peinlich berührt, als ihn das Riechsalz des freiwilligen Rettungsteams in unserem Wohnzimmer aus der Ohnmacht weckte. Zwei Mitglieder des Rettungsdienstes waren enge Freunde meines Dads. Jeder wusste, dass meine Mutter gestorben war. Der Vorfall wurde daher als normale Reaktion auf den tragischen Verlust abgetan.
    Danach fand ich meinen Vater noch häufig betrunken und ohnmächtig, wenn ich nach Hause kam. Den Rettungsdienst rief ich allerdings nie mehr. Stattdessen lernte ich, allein zurechtzukommen, ihn in Ruhe zu lassen. Diese Situation dauerte aber nur wenige Monate. Dann entschied mein Vater, dass er für die Rolle des alleinerziehenden Witwers nicht geschaffen war. Dem konnten weder ich noch Großmutter und Großvater widersprechen, die mich schließlich bei sich aufnahmen.
    Als Kind habe ich nicht begriffen, wie mein Vater einfach vor dem Leben kapitulieren konnte. Warum ging er nicht mehr zur Arbeit? Wie brachte er es fertig, sein einziges Kind anderen zu überlassen? Wie konnte er sich nur so weit gehen lassen, Trost nur noch auf dem Boden einer Schnapsflasche zu finden?
    Ich habe es nie verstanden. Zumindest nicht, bis ich neben Annas Bett saß und auf ihren letzten Atemzug wartete.
    Ich hatte so verzweifelt versucht, optimistisch zu bleiben. Ich hatte mir eingeredet, es würde alles gut werden, ein Wunder geschehen und Anna wieder gesund werden lassen. Oder Hope würde über den Verlust hinweg- und ohne die Mutter zurechtkommen. Was auch geschah, ich wollte auf keinen Fall so enden wie mein Dad.
    Am zehnten Tag im Krankenhaus allerdings, während ich wieder einen Stapel ihrer Zeichen wahrer Liebe laut vorlas und so tat, als könne sie mich hören, veränderte sich in mir etwas grundlegend. Großvater hätte es vielleicht zu Recht als eine depressive Phase bezeichnet. Ich jedenfalls hatte das Gefühl, dass der winzige Hoffnungsschimmer, an den ich mich geklammert hatte, sich allmählich schlicht in Luft auflöste.
    Das war der Tag, an dem ich aufgab . Ich verstand bald, wie mein Vater vor Trauer in ein so tiefes, schwarzes Loch hatte fallen können – damals, als ich noch ein Kind gewesen war. Ganz so weit ließ ich es nicht kommen, aber ich wandelte auf einem schmalen Grat über dem Abgrund.
    In diesem emotionalen Zustand wurde ich völlig antriebslos. Dinge, die mich bis dahin noch aufrecht gehalten hatten, gab ich auf. Ich führte keine einseitigen Gespräche mehr mit Anna, las ihr nicht mehr vor. Die tägliche Toilette, wie Rasur und Duschen, erschienen mir reine Zeitverschwendung. Wen sollte ich mit glatt rasiertem Gesicht und gekämmtem Haar beeindrucken? Anna mit Sicherheit nicht. Das Einfachste war, im Liegesessel zu sitzen und mich dem Selbstmitleid hinzugeben.
    Dieser Zustand dauerte endlose Tage, in denen ich den Ärzten und Juristen der Klinik weiterhin Annas Patientenverfügung vorenthielt. Das Phänomen »Zeit« verlor jede Bedeutung für mich. Ich verbrachte die Tage damit, die Atembewegungen meiner Frau zu beobachten. Dabei überlegte ich deprimiert, wie ich zum Beispiel Octavius Burke beibringen sollte, dass seine Tochter ohne mich noch leben könnte. Oder wie ich Stuart und Heather überzeugen wollte, dass es für Hope wesentlich besser

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