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Lieblingslied: Roman (German Edition)

Lieblingslied: Roman (German Edition)

Titel: Lieblingslied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K.A. Milne
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ein Zombie, der in Annas Zimmer wachte und darauf wartete, dass sich jemand erbarmte und meinem jämmerlichen Leben mit einem Schlagstock ein Ende setzte. Während dieser Stunden beherrschte mich nur ein Gedanke: dass Annas Lebensuhr unaufhaltsam ihrem Ende entgegentickte.
    Der siebenundzwanzigste Tag war völlig unerwartet ein Tag hektischer Aktivität. Eine der Krankenschwestern hatte mit einer Nadel in Annas Ferse gepikt und damit ein leichtes Zucken ihres Zehs ausgelöst. Es war nur ein Zucken, aber damit kletterten die Punkte, die sie auf der Glasgow-Koma-Skala erreichte von drei auf sechs. Im ersten Augenblick war die Aufregung groß. Vor allem ich dachte, der Wendepunkt sei erreicht, die Ungerechtigkeiten dieser Welt würden korrigiert und ich würde meine Anna wiederbekommen. Als Dr. Rasmussen jedoch die Bedeutung des Tests stark relativierte, versank ich noch tiefer in die Depression.
    »Tut mir leid«, begann er. »Aber das will nicht viel heißen. Ich halte das lediglich für einen Reflex des Muskels und nicht für eine Reaktion des Nervensystems.«
    »Sie meinen, der Impuls ging also nicht vom Gehirn aus?«
    Er warf mir einen fast mitleidigen Blick zu. »Meiner Meinung nach nicht.«
    »Aber Sie sind nicht sicher?«
    »Nein, nicht hundert Prozent. Aber ziemlich sicher.«
    »Und wenn Sie sich irren? Wäre es dann ein verlässliches Anzeichen, dass Sie aus dem Koma erwacht?«
    Es war nicht zu überhören, wie ungern er als Überbringer schlechter Nachrichten fungierte. Er zog einen Stuhl heran und setzte sich zu mir. »Ethan, in der Medizin ist nichts vollkommen sicher. Wir sind nicht allwissend. Aber wir wissen eine Menge, und was wir wissen ist, dass selbst wenn das Gehirn ihrer Frau noch auf einem niedrigen Level funktioniert, die Chance ihrer Genesung sehr gering bleibt.«
    »Wie niedrig? Ich will Zahlen hören. Es muss doch Vergleichswerte geben, die eine andere Prognose zulassen.«
    »Okay«, erwiderte er ruhig. »Betrachten wir als Erstes die Werte Ihrer Frau vierundzwanzig Stunden nach dem Unfall. Daran können wir ungefähr den weiteren Verlauf absehen. Sie erreichte damals den niedrigsten möglichen Wert auf der Koma-Skala. Laut Statistik erzielen wir bei ungefähr fünf Prozent der Patienten mit diesen Werten eine Besserung. Alle übrigen sind nicht zu retten. Bei denen, die sich erholen, ist innerhalb der ersten Woche eine signifikante Besserung feststellbar. Bei Anna dauerte es fast vier Wochen, bis wir sie auf der Koma-Skala hochstufen konnten.«
    »Wie ist die Prognose für eine Person mit sechs Punkten auf dieser Skala?« Ich wusste die Antwort bereits, klammerte mich jedoch an jeden Strohhalm.
    »Also das sind nur ungefähre Werte, aber von Patienten, die innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden zwischen fünf und sieben Punkten erzielen, stirbt noch immer die Hälfte ohne Anzeichen weiterer Besserung. Ich habe keine statistischen Zahlen Patienten betreffend, die innerhalb von vier Wochen von drei auf sechs Punkte hochgestuft wurden. Meiner Meinung nach ist es jedoch wahrscheinlich, dass Ihre Frau diesen Unfall nicht überleben wird.«
    Auch die Schwestern wirkten nach dieser Einschätzung ausgesprochen niedergeschlagen. Sie beendeten ihre täglichen Pflichten und verließen hastig Annas Zimmer. Ich blieb allein mit meinen Gedanken und Ängsten zurück.
    Dann kam der achtundzwanzigste … und der neunundzwanzigste Tag. Anna wurde noch immer künstlich ernährt, und ihr Zeh zuckte weiterhin nach der Reizung mit einer Nadel. Aber mehr geschah nicht.
    An jenem Abend nach dem Essen wurde ich zum ersten Mal seit jenen Tagen unmittelbar nach dem Unfall wieder von Weinkrämpfen geschüttelt. Ich war mental und emotional am Ende. Das Leben, wie ich es gekannt hatte, würde es nie mehr geben. Anna würde nie wieder gesund werden. In diesem Punkt konnte auch ich mir nichts mehr vormachen. Unsere kleine Familie gab es nicht mehr. Am schlimmsten traf mich die Befürchtung, dass ich meiner Vaterrolle nicht gerecht werden, geschweige denn als nützliches Mitglied der Gesellschaft funktionieren konnte.
    »Verzeih mir, Anna«, stammelte ich unter Tränen. »Ich wollte nie, dass es so weit kommt.«
    Meine einsamen Monologe unterbrach das Klingeln des Telefons. Angesichts der Uhrzeit tippte ich korrekterweise auf Stuart, was bedeutete, dass Hope am anderen Ende der Leitung sein würde. Ich hatte keine Lust zu reden, denn ich wusste nur zu gut, worauf das Telefonat hinauslaufen würde. Dennoch durfte ich

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