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Lieblingslied: Roman (German Edition)

Lieblingslied: Roman (German Edition)

Titel: Lieblingslied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K.A. Milne
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hatte. Die einzige Veränderung ihrer Lage fand statt, wenn die Krankenschwestern ihre leblosen Gliedmaßen bewegten, um die Krankenhauskleidung zu wechseln oder die Kabel und Infusionen zurechtzulegen. »Wir haben tatsächlich ein ernstes Problem.«
    Was Jessica in diesem Moment durch den Kopf ging, konnte ich nur vermuten. Ich machte mich darauf gefasst, dass es nur noch Sekunden dauerte, bis mich ihr Fallbeil traf. Ihre Antwort war allerdings eine Überraschung. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass sie in mir etwas anderes sehen könnte als einen seelenlosen Roboter, der willig seine Arbeit verrichtete. »Herrje … lassen Sie mich raten. Das mit dem Urlaub ist nur ein Vorwand, ja? Sie sind auf Akquise. Sie sammeln Angebote von der Konkurrenz.«
    Ich war so perplex, dass ich im ersten Moment sprachlos war. Jessica deutete mein Schweigen prompt falsch. »Sie haben doch noch nichts unterschrieben, Ethan, oder?« fragte sie mit Verzweiflung in der Stimme. »Bitte sagen Sie mir, dass Sie das nicht getan haben! Verraten Sie mir, was die Ihnen bieten. Ich biete in jedem Fall fünf Prozent mehr.«
    »Jessica … davon kann keine Rede sein. Es ist wegen Annaliese.«
    »Ist das eine Werbeagentur?«
    »Meine Frau.«
    »Ihre Frau hat Ihnen einen Job angeboten?«
    »Hören Sie mit dem Unsinn auf!«, entgegnete ich scharf. »Und lassen Sie mich einfach mal ausreden. Meine Frau … sie hatte einen Unfall. Vor sieben Tagen. Als ich aus dem Büro nach Hause gekommen bin.«
    Jessica seufzte laut und hörbar erleichtert auf, so als sei das die beste Nachricht der Welt. »Dem Himmel sei Dank! Schließlich kriegen Sie bereits ein Topgehalt und fünf Prozent mehr hätte ich dem Aufsichtsrat nur schwer vermitteln können. Wie geht’s denn Ihrer Frau? Kümmern Sie sich um sie? Ist sie bald wieder hergestellt? Ich muss sagen, wie ein Erholungsurlaub klingt das nicht.«
    Ich war wütend. Jessica hatte wieder einmal auf den falschen Knopf gedrückt. Sie hatte mich geweckt, mich aufgefordert, meinen Urlaub abzubrechen, mich mit einer Gehaltserhöhung gelockt, um mich bei der Stange zu halten, und keinen Zweifel daran gelassen, dass ihr die Gesundheit meiner Frau nur eine flapsige Bemerkung wert war. Ich räusperte mich. Was ich zu sagen hatte, würde ich nur einmal sagen. Also sollte es klar und deutlich rüberkommen. »Meine Frau liegt im Sterben. Und ich kündige.«
    Dann legte ich zum zweiten Mal auf und schaltete das Handy aus. Ich stand vom Liegesessel auf und setzte mich auf den harten Stuhl neben Annas Bett. Sie sah in diesem Moment ausgesprochen friedlich aus, so als gäbe es keine Sorgen auf dieser Welt.
    »Guten Morgen. Hast du das gehört, Anna?«, fragte ich, obwohl ich wusste, dass sie mich nicht hörte. Das war der schwierigste Teil der »Dialoge« mit meiner besten Freundin, die zu Monologen verkommen waren. Selbst während ich ihr laut vorlas, kam ich mir vor, als spräche ich gegen eine Wand und versuchte verzweifelt, den Kontakt zu der Person dahinter herzustellen. »Jetzt bin ich ganz offiziell arbeitslos. Kein guter Auftakt für diesen Tag, was?« Ich wartete, ohne wirklich mit einer Antwort zu rechnen, auch wenn ich ihr die Gelegenheit nicht versagen wollte. »Noch immer nicht gesprächig? Schlecht geschlafen? Genau wie ich. Von diesem unbequemen Liegesessel kriege ich immer einen steifen Nacken. Meinst du, die vermieten mir ein Bett im Nebenzimmer? Ich glaube, das ist gerade frei. Vielleicht sollte ich mich nachts dort einschleichen, wenn die Schwestern nicht aufpassen, damit ich mal eine Nacht durchschlafe. Nein, wenn ich’s mir überlege, bleibe ich doch lieber hier bei dir. Jetzt, da ich meinen Job gekündigt habe, können wir alle Zeit der Welt miteinander verbringen. Kannst du mich hören, Anna? Ich arbeite nicht mehr bis spät in die Nacht. Du und ich und Hope, wir können tun und lassen, was du möchtest. Keine versäumten Mahlzeiten mit der Familie mehr, keine abendlichen Meetings, keine Reisen kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten und keine Wochenenden fern von zu Hause.« Ich nahm Annas Hand. »Was sagst du dazu? Anna? Anna …? Anna! Bitte, Liebling, gib mir nur ein kleines Zeichen, dass du mich hörst. Irgendeines! Heb einen Finger oder blinzele mit einem Auge. Bewege einen Zeh. Oder lächle. Willst du das für mich tun? Sei jetzt nicht stur, okay? Wir wissen beide, wie dickköpfig du manchmal sein kannst. Wenn du dich weigerst, weil du auf mich wütend bist … Lass es! Bitte! Ich meine das

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