Lieblingsmomente: Roman
Wangen, die von der zerfließenden Mascara herrühren. Es erinnert mich an eine klassische Kriegsbemalung, und ich glaube, es ist eine sehr gute Idee, mein privates Foto-Reisetagebuch mit genau diesem wunderschönen vertrauten Gesicht zu beginnen. Sie lächelt tapfer in die Kamera, und ich weiß, egal wohin ich gehe, ich werde niemals ganz alleine sein.
Beccie winkt mir zum Abschied zu, während ich durch die Tür zur Welt trete und dabei meinen ganzen Mut zusammen mit meiner Kamera mitnehme. So langsam begreife ich, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich etwas tue, womit niemand – vor allem nicht ich! – gerechnet hätte. Ich erfülle mir meinen Traum. Einfach so. Ob ich Tristan wiedersehen werde? Ich weiß es nicht. In einem halben Jahr kann so viel passieren. Was, wenn er sich verliebt? Was, wenn ich mich verliebe? Wo stehen wir jetzt? Und wo werden wir stehen, wenn ich wieder nach Hause komme? Ich weiß es nicht, und ich weiß nicht, was mich in den nächsten Monaten erwartet. Ich weiß nicht, was mit mir passieren wird – aber ich spüre diese große Aufregung in meinem Inneren, während ich mit einer netten Frau im Flugzeug die Plätze tausche, damit ich am Fenster sitzen kann.
Wir fahren über das Rollfeld, und ich ziehe einen dicken Briefumschlag im DIN-A4-Format aus meinem Rucksack. Er lag heute Morgen in meinem Briefkasten, ohne Absender. Ich öffne den mysteriösen Umschlag, ziehe ein hochwertiges Kulturmagazin heraus und lasse das Gewicht in meiner Hand wirken. Was soll ich damit? Und wer schickt mir so etwas? Das Cover zeigt ein vertrautes Gesicht, und auch das Foto kommt mir sofort mehr als bekannt vor. Thomas! Auf der Bühne in Bregenz. Ich blättere bis zu dem mit einem Post-it markierten Artikel über ihn, und sofort schlägt mein Herz wie wild gegen meine Brust, denn die Fotos in dem Artikel – sie sind allesamt von mir. Es sind meine Konzertfotos von Thomas Pegram, der in dem Magazin als aufgehender Stern am Indie-Musikhimmel gefeiert wird. Zu Recht. Das Lächeln auf meinem Gesicht wird größer und breiter, je länger ich die Fotos betrachte. Wenn man bedenkt, unter welchen Umständen diese Fotos entstanden sind … Ich freue mich. Sehr. Nein, ehrlich gesagt ist in mir gerade eine kleine Konfetti-Kanone abgefeuert worden, und ich platze gleich vor Stolz und Glück.
Die nette Frau neben mir wirft einen neugierigen Blick auf das Magazin, und so reiche ich es ihr.
»Thomas Pegram, ein aufgehender Stern am Indie-Musikhimmel.«
»Ah. Ja, kenne ich. Hat er endlich ein eigenes Album draußen?«
»Na, hoffentlich bald.«
Die junge Frau studiert weiterhin meine Fotos von Thomas.
»Hübscher Kerl.«
»Und ein großartiger Sänger.«
»Und wirklich fotogen. Das sind tolle Fotos. Man hat fast das Gefühl, auf dem Konzert dabei gewesen zu sein.«
Jetzt! Los, Layla, sag es endlich!
»Die Fotos sind von mir.«
Da! Es ist raus. Ich stehe dazu. Ich stehe zu dem, was ich tue, was ich liebe und worin ich gut bin.
»Wirklich?«
»Ja.«
»Glückwunsch.«
»Danke.«
Und während sie erneut die Bilder betrachtet und dann den Artikel liest, ziehe ich einen Brief aus meiner Jackentasche. Ich kann ihn schon so gut wie auswendig, aber ich werde einfach nicht müde, ihn immer und immer wieder zu lesen. Tristans Handschrift ist geschwungen, groß und klar. Ich streiche das Papier glatt und lese den Abschiedsbrief ein weiteres Mal.
Liebe Layla,
erinnerst du dich noch an die Frage, die du mir gestellt hast? Ob ich wüsste, wie unsere Geschichte ausgeht? Wie mir scheint, wissen wir es noch immer nicht. Aber ich würde alles jederzeit wieder genau so tun. Es gibt noch so viel zu sagen, aber jetzt läuft mir dafür die Zeit davon. Ich habe dir einmal ganz zu Beginn gesagt: Wenn du nicht mehr kannst oder möchtest, werde ich gehen und dich in Ruhe lassen. Ich werde alles mitnehmen, was du möchtest, und dir lassen, was du brauchst.
Ich will dir in diesem Brief nur sagen, dass du mir viele Lieblingsmomente geschenkt hast. Ich werde dich jetzt also loslassen. Auch wenn du mir schrecklich fehlen wirst, weiß ich, dass ich es tun muss …
Die Zeit mit dir hat mir vieles klarer gemacht. Ich habe für eine kleine, unendlich schöne Weile die Welt durch dich und deine Augen sehen dürfen. Wenn du wüsstest, wie viel mir das bedeutet, würdest du dich wundern. Aber so wie die Sternschnuppen werde auch ich verschwinden und nur dann wieder wie wild den Himmel stürmen, wenn du es dir
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