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Lieblingsstücke

Lieblingsstücke

Titel: Lieblingsstücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fröhlich
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Gerichtstermin und wollte vorher nochmal in die Kanzlei. Mit anderen Worten: Das Haus gehört mir. Ich genieße diese Zeit, diese kleine Ruhephase, bis um halb elf die ersten Kunden auflaufen. Ich lege meine Hauptstadtkassette ein (ich höre sie nie, wenn jemand dabei ist, wäre mir doch ein bisschen peinlich), mache mir einen schönen Kaffee und setze mich erst mal hin. Bevor ich den Keller betrete, muss ich mir eine Art Masterplan machen. Kaum habe ich Zettel und Papier vor mir liegen, klingelt es. Dabei ist es noch nicht mal acht Uhr. Wer kann denn da nicht lesen? Ist das so schwer? Zehn Uhr dreißig. Nicht acht Uhr. Am liebsten würde ich gar nicht erst aufmachen. Es klingelt hartnäckig weiter. Ich gebe auf, schließlich könnte es auch der hübsche Kerl von den Stadtwerken oder irgendeine Nachbarin sein. Oder ein Bote mit herrlichen Blumengebinden für mich. War nur ein Witz. Wer sollte mir schon Blumen schicken? Ich habe nicht mal Geburtstag, und Blumen zwischendrin gehören nicht zu Christophs Gewohnheiten. Was nicht heißen soll, dass er nicht doch ab und zu mal was mitbringt. Meist Pralinen, die er selbst von glücklichen Mandanten geschenkt bekommen hat.
    Ich liege komplett falsch mit meinen Vermutungen. Es ist mein Vater. Ungewöhnlich. Mein Vater ist nicht der
Typ, der einfach so mal auf einen Kaffee vorbeischaut. Er hat kein Päckchen im Arm, dafür einen kleinen Trolley neben sich.
    »Moin, Papa, schön dich zu sehen, soll ich dir was versteigern?«, frage ich freundlich.
    Er schüttelt den Kopf und murmelt nur ein knappes »Guten Morgen«. Mein Vater ist nicht geschwätzig, das bisschen Reden erledigt meine Mutter im Normalfall für ihn mit, aber so wortkarg ist er eigentlich auch nicht. Außerdem sieht er irgendwie seltsam aus. Verändert. Mein Vater hat sonst so was Aufrechtes, aber heute Morgen sieht er aus wie ein Baum, der seit Wochen keinen Tropfen Wasser gesehen hat. Kümmerlich geradezu. Vertrocknet und eingefallen. Ich weiß, dass das Alter in Schüben über uns kommt, aber das muss ja ein wirklich heftiger Schub gewesen sein. Ich bekomme direkt Angst. Hat er eine grauenvolle Krankheit und will mir auf dem Weg ins Krankenhaus nur schnell Bescheid sagen? Oder ist etwas Furchtbares mit meiner Mutter passiert, und er hat sich nicht getraut, mich per Telefon zu informieren?
    »Komm doch erst mal rein«, sage ich und schiebe ihn mit seinem Trolley ins Haus. Er guckt erstaunt. Wahrscheinlich weil quer durchs Haus in voller Lautstärke die Stimme seiner Tochter schallt. »Niger – Niamey, Nigeria – Abuja.« Meine Hauptstädte.
    »Moment, Papa«, rufe ich und drücke genau bei Ruanda und Kigali die Austaste des Rekorders. Ich glaube nicht, dass mein Vater gekommen ist, um sich in Sachen afrikanische Hauptstädte fortzubilden. Er schlurft zum Sofa und lässt sich reinfallen. Wie ein Hutzelmännchen. Er erinnert mich an so ein Zwetschgenmännchen, wie es sie immer auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt gibt,
aus Dörrpflaumen. Die sehen extrem mitleiderregend aus, aber mein Vater kann mühelos mithalten. Wie kann das passieren? Vor allem mit einem Mann, der bisher mit den Adjektiven stattlich und aufrecht eigentlich sehr gut charakterisiert werden konnte.
    »Willst du einen Kaffee?«, frage ich, um die offensichtliche Misere nicht direkt anzusprechen.
    »Nein, Andrea. Das fehlt meinem Blutdruck gerade noch. Ein Wasser wäre gut. Und also, ja ähm, eigentlich wollte ich dich fragen, ob ich eine Weile hier wohnen kann?«, stammelt er mit gebrochener Stimme. Mein Vater will bei mir wohnen? Hat ihn meine Mutter rausgeschmissen? Hat er sein Zimmer nicht aufgeräumt oder im Gästeklo nicht gelüftet oder irgendeine, für meine Mutter vergleichbar, schreckliche Tat begangen? Um erst mal Luft zu schnappen, hole ich ihm sein Wasser.
    »So, Papa«, sage ich mit ganz ruhiger Stimme und in einer Tonlage, die ich im Ernstfall auch bei den Kindern verwende, »natürlich kannst du hier wohnen, aber es wäre gut, du würdest mir die Geschichte von Anfang an erzählen. Du hast doch ein Zuhause, Papa. Was also ist eigentlich los?«
    Er streicht sich über den Kopf und stöhnt. Es muss irgendwas sein, was ihm furchtbar unangenehm ist. Oder peinlich. Er ziert sich richtiggehend.
    »Danke, Andrea, dass ich hier wohnen darf. Das ist gut. Sonst wäre ich ins Hotel. Aber hier ist es natürlich besser.«
    Also das halte ich für einen Trugschluss. Aber in seinem momentanen Zustand sollte man ihn vielleicht nicht allzu ernst

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