Lieblingsstücke
verhöre ich ihn weiter.
»Andrea, sie hat es gesagt. Sie hat es direkt zugegeben. Sie hatten Sex. Zweimal.«
Während mein Vater das sagt, wird seine Stimme wieder brüchiger, und er fängt an, leise zu schniefen. O mein Gott! Er wird gleich weinen. Man sieht es schon an seinen Augenwinkeln. Feucht. Bitte, nur das nicht.
»Papa, beruhige dich, dafür muss es doch eine Erklärung geben. Das kann ich mir so gar nicht vorstellen.«
Kleine Notlüge. Denn eigentlich kann ich mir bei meiner Mutter fast alles vorstellen. Gut, so weit wäre ich gedanklich nie gegangen. Meine Eltern und Sex, das ist etwas, was ich bisher immer erfolgreich ausblenden konnte. Papa sieht den Schrecken in meinem Gesicht.
»Du wolltest es unbedingt wissen, Andrea.«
Da hat er durchaus recht. Nur was stelle ich mit diesem Wissen jetzt an? Schicke ich die beiden zur Paartherapie? Rufe ich erst mal meine Mutter an und bitte sie zum gemeinsamen Gespräch? Halte ich mich einfach raus und tue so, als wüsste ich von nichts? Schwierig.
»Was meint denn Birgit?«, frage ich und hoffe, er sagt gleich mit ganz viel Pathos in der Stimme, dass er sich nur mir anvertraut hat. »Die sagt, wir sollen uns wieder vertragen«, seufzt mein Vater und wischt sich verstohlen eine Träne von der Wange. Also unter diesen Umständen hätte mich Birgit wirklich geradezu anrufen müssen! Mich auf diese Misere vorbereiten. Blöde Kuh. Und der Ratschlag »Vertragt euch wieder« mag ja bei kleinen Kindern ab und an funktionieren, ist in diesem Fall aber wohl ziemlich dämlich. Schließlich geht es bei meinen Eltern ja um etwas mehr als um irgendeinen profanen Streit wegen einer Puppe. Obwohl im weitesten Sinn geht es ja tatsächlich um eine Puppe. Eine etwas ältere Puppe allerdings. Nämlich meine Mutter Erika. Sobald mein Vater auf seinem Zimmer ist, werde ich sie anrufen. Erstens soll man ja beide Seiten
hören, und zweitens kann ich mir immer noch nicht vorstellen, dass meine Mutter wirklich den Greenkeeper des Golfclubs vernascht hat. Und dass sie das vor allem auch noch zugibt. Meine Mutter neigt eigentlich nicht zu Geständnissen. »Wieso auch«, würde sie sagen, »ich mache ja keine Fehler.«
Ich lasse meinen Vater auf der Couch sitzen und mache mich daran, Marks Zimmer in ein einigermaßen passables Gästezimmer zu verwandeln. Mark hat ein Hochbett. Habe ich überhaupt nicht bedacht. Mein Vater im Hochbett? Geht das?
Ich rufe runter: »Papa, kannst du in einem Hochbett schlafen?«
Er ruft zurück: »Mir ganz egal. Hauptsache ich habe ein Bett.«
Selbst einem Mann wie ihm scheint klar zu sein, dass er sich in einer Position befindet, in der man nicht allzu viele Ansprüche stellen kann. Vor allem, nachdem ihm selbst seine Birgit einen Korb gegeben hat. Es wundert mich, dass er nicht auch noch meinen Bruder Stefan vor mir gefragt hat. Oder irgendwelche Menschen auf der Straße. Aber Stefan wohnt in einer WG , und das hat meinen Vater wahrscheinlich abgeschreckt. Ich muss auch dringend Stefan anrufen. Das Beste wird sein, wir treffen uns heute Abend, um über die Lage nachzudenken. Wenn Christoph hier ist, kann der sich ja um meinen Vater kümmern. Oh, Christoph, den muss ich ja auch noch informieren. Ob ihm gefällt, dass mein Vater bei uns einzieht? Egal, was er davon hält, ich kann meinen Vater ja schlecht in die Obdachlosigkeit abschieben, und außerdem mag er meinen Vater. Sagt er jedenfalls immer. Ob das im täglichen Zusammenleben auch noch gilt, weiß ich nicht, aber es wird sich schon zeigen.
Ich schmeiße alles, was bei Mark auf dem Boden rumliegt, in den Schrank, beziehe das Hochbett frisch und hoffe im Stillen, dass mein Vater weniger pingelig ist als meine Mutter.
»Papa, dein Zimmer ist soweit gerichtet. Du kannst rein, wenn du willst. Ich staubsauge später noch.«
Mit diesen Worten hole ich ihn von der Wohnzimmercouch. Er sitzt da noch ganz genauso, wie ich ihn eben zurückgelassen habe. Faszinierend. Fast wie im Wachsfigurenkabinett.
»Papa, du kannst hoch, wenn du willst. Du kannst aber auch gerne hier sitzen bleiben. Fühl dich einfach wie zu Hause. Essen ist in der Küche, und wenn du telefonieren willst, tu dir keinen Zwang an.«
»Wen sollte ich denn schon anrufen?«, jammert mein Vater.
Ich wüsste, wen ich anrufen würde. Meine Freundinnen natürlich. Zu allererst Heike und Sabine. Auch mein Vater hat Freunde, aber alles, was seine Sozialkontakte angeht, hat meine Mutter gemanagt. Wie in den meisten Familien. Mein Vater ist
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