Lieblingsstücke
kaufen, nur damit die Verkäuferinnen beeindruckt sind, erscheint mir behandlungsbedürftig. Aber das schöne Wickelkleid konnte da ja nichts dafür. Ich betrachtete es voller Inbrunst. Ich musste mich schwer beherrschen, um es nicht an mich zu reißen und es auf der Stelle anzuprobieren. Wahrscheinlich hätte es Iris nicht mal gestört, aber ich denke, es würde mich in wenig professionellem Licht dastehen lassen. Schließlich bin ich nicht die Freundin von Iris, sondern in erster Linie eine Geschäftspartnerin. Also verkniff ich mir das Anprobieren, bis sie zur Tür raus war. Dann gab es kein Halten mehr. Ich wusste, ich musste dieses Kleid haben, obwohl es ein bis zwei Größen größer sicherlich besser gepasst hätte. Wickelkleider offenbaren viel Dekolleté –
wenn sie nicht richtig gut zugehen, noch viel mehr. Mit ein bisschen Geschick würde man bis zu meinem Bauchnabel gucken können. Und beim Gehen klaffte auch untenrum ein bisschen was. Aber im Still-Stehen war das Kleid unschlagbar. Und Türkis bringt meine Augen so herrlich zum Strahlen. Iris hatte mir gesagt, dass sie auf jeden Fall mindestens hundertzwanzig Euro für das nahezu neue Kleid haben wollte. Da kam mir die Idee: Ich kaufe das Kleid. Hundertzwanzig Euro, abzüglich meiner Provision von 25 % waren nur noch neunzig Euro. Und für neunzig Euro würde ich in diesem Leben nie wieder einen echten Fürstenberg-Fummel kriegen.
Natürlich habe ich mir das Ganze mental ein bisschen schöngerechnet, und wenn ich das Kleid bei eBay angeboten hätte, wäre bestimmt mehr drin gewesen, aber eine Frau wie Iris würde das verschmerzen können. Und schlussendlich: Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß. Als ich ihr nach einer Woche die neunzig Euro in die Hand gedrückt habe, hatte ich ein ungutes Gefühl und ein verdammt schlechtes Gewissen. Aber Iris scheint nichts gemerkt zu haben. Im Gegenteil, sie hat sich artig bedankt, gesagt, dass sie auf keinen Fall eine Abrechnung braucht, »Nichts Schriftliches, bitte«, und versprochen, dass sie in nächster Zeit häufiger kommen würde.
»Ich habe so viel Kram, ich weiß gar nicht wohin damit.«
Da war mein Gewissen sofort ein bisschen beruhigt.
Und Iris war ganz offensichtlich zufrieden mit »meiner Leistung«, denn sie steht inzwischen etwa zweimal die Woche auf der Matte und bringt mir Sachen. Kleidung, Handtaschen, Schuhe. Ihr Haushalt birgt mehr Überraschungen als das Wunder-Täschchen von Mary Poppins. Zu Beginn
dachte ich, Iris sei eine ausgesprochen verwöhnte Ziege, die in ihrem Leben noch keinen Handschlag getan hat und vor lauter Langeweile nicht mehr weiß, was sie außer Einkaufen und Körperpflege tun soll. Heute, wo wir uns besser kennen, weiß ich, Iris ist eine verwöhnte Ziege, aber – auch verwöhnte Ziegen können nett sein. Und verdammt clever.
In guten Monaten verdiene ich als Top-Sellerin etwa tausend Euro durch meine Auktionen. Dafür muss ich allerdings viertausend Euro Umsatz machen, und bei all dem Kleinscheiß, der hier bei mir landet (leider haben nicht alle Kunden so herrliche Ware wie Iris), ist das eine Menge Arbeit. Von den tausend Euro gehen Monat für Monat wegen meiner Privateinkäufe etwa vierhundert direkt weiter an Iris. Also bleiben im Endeffekt sechshundert Euro übrig. Netto. Ich gebe zu – ich habe noch kein Gewerbe angemeldet. Es ist ja auch eigentlich kein richtiges Geschäft, sondern eher ein Hobby, das eine gewisse Eigendynamik entwickelt hat. Und ein bisschen was darf man ja auch verdienen, ohne gleich Steuern zu zahlen. Ich ahne jedoch, dass sechshundert Euro ein bisschen zu viel bisschen sind. In manchen Monaten ist es aber durchaus auch weniger. Und durchs Ehegattensplitting hätte ich dann auch noch eine so miese Steuerklasse, dass aus dem Bisschen ganz schnell nahezu Nichts würde.
Christoph, den ich mal so nebenbei darauf angesprochen habe, war dafür, dass ich zum Gewerbeamt gehe.
»Melde dein Geschäft an, dann kannst du in aller Ruhe schlafen. Man wird schneller zum Betrüger als du denkst.«
Ich dachte an mein Wickelkleid und wusste genau, was er meinte.
Ich lege meine Kassette ein, und während ich mich durch Päckchenstapel wühle, prasseln die Hauptstädte auf mich ein. Nach jedem Land habe ich bei der Aufnahme eine kleine Pause gemacht, gerade lang genug, um die Hauptstadt zu nennen. Dann kommt die Hauptstadt vom Band, und ich kann direkt kontrollieren, ob ich richtig liege. Algerien – Algier, Angola – Luanda, Benin – Porto
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