Lieblose Legenden
später, habe er mit seinen Rahmen sagen wollen (was ich
übrigens bezweifle). Nun hat Usteguy zwar, wenn ich
mich recht erinnere, in seinem Essay »Vom Sport« ähnliche Gedanken
ausgesprochen, und zwar vornehmlich über das Angeln — wie sich doch das
Rüstzeug des Philosophen in unserer Zeit vermehrt hat, nicht zu reden von der
zunehmenden Anwendbarkeit seiner Thesen! — dennoch ist man von der Vitalität
des immerhin Neunundsiebzigjährigen entzückt, gebannt von der faszinierenden
und dabei absolut zwingenden Art, in der er seine empirische Betrachtungsweise
auf den Bilderrahmen ausdehnt. Er hat ihn erfaßt und durchschaut, wie sonst
keiner. Er war von zwei jungen Damen begleitet, denen er sehr zugetan schien.
Habe einen kleinen Rahmen erworben, den
ich vielleicht mit einem Stilleben zu füllen gedenke.
25. September. Heute morgen mit der
Post zwei Einladungen. Die erste kommt von meiner Bank und hat die Aufforderung
zum Kauf fünfprozentiger mündelsicherer Pfandbriefe zum Inhalt. Obgleich ich
niemals Miene gemacht habe, dieserart Einladungen Folge zu leisten, lädt mich
die Bank mit hartnäckiger Freundlichkeit stets wieder zu diesen oder ähnlichen
Transaktionen ein, als mache mich gerade meine Zurückhaltung zu einem
Lieblingskunden. Dabei weiß ich noch nicht einmal, ob das Wort »mündelsicher«
zu bedeuten hat, daß die Briefe für die Mündel oder vor den
Mündeln sicher sind. Oder ob »mündelsicher« lediglich ein Begriff solider
Stabilität ist, wie etwa »feuerfest« oder »wasserdicht«. - Wie dem auch sei:
ich habe keine Mündel, die ich mit einer solchen Anschaffung erfreuen oder — je
nachdem — brüskieren könnte.
Die andere Einladung kommt vom Vorstand
der Deutschen Bartschedelgesellschaft. Ich soll bei der feierlichen
Denkmalsenthüllung zum zweihundertsten Todestage Bartschedels am 14. Oktober in Osnabrück die Gedenkrede halten.
Hier dürfte es sich um einen Irrtum
handeln. Habe dennoch beschlossen, die Einladung anzunehmen, da ich noch nie
bei einer Denkmalsenthüllung zugegen gewesen bin, geschweige denn die
Gedenkrede gehalten habe. Diese Gelegenheit also möchte ich gern wahrnehmen,
denn es werden wenige Denkmäler enthüllt, heutzutage. Muß mich möglichst bald
informieren, wer Bartschedel war.
Morgenspaziergang durch den Park:
herbstlich trübe. Der Himmel grau, die Blätter gelb, ein toter Tag, den ein schwacher Kinderwagenverkehr vergeblich zu beleben
sucht.
In einem Antiquitätenladen in der Rosenowstraße fand ich das passende Bild für meinen
neuerworbenen Rahmen: ein Gemüsestilleben von frischer, unbefangener
Zweitklassigkeit, wahrscheinlich ein Niederländer, jedenfalls von
altniederländischer Liebe zu prosaischem Detail beseelt. Knollen, Stiele und
Blätter metallen-klar, überscharf in den Umrissen, als seien sie aus
koloriertem Silberblech, mit dem obligaten Tautropfen; auch das traditionelle
Insekt fehlt nicht: es sitzt auf einem Rettich, ist weder Fliege noch Käfer,
sondern das Insekt an sich. — Die Oberfläche ist stark gedunkelt, muß sie
reinigen.
27. September. Vormittags in der
Staatsbibliothek. War etwas erstaunt, Gottfried Willibald Bartschedel als
Quacksalber, Astrologen und allgemein betrügerischen Heilsverkünder verzeichnet
zu finden, der — wie ich dem Nachschlagewerk entnehmen mußte — seine vom Geist
der Aufklärung wohl ein wenig überforderten und daher für den Gegenpol um so
empfänglicheren Zeitgenossen nicht übel an der Nase herumgeführt zu haben
scheint. Selbstverständlich kam mir sofort der Gedanke, daß diese Angaben dem
neueren Stand der Bartschedelforschung nicht mehr entsprächen: immerhin zieren
den Briefkopf der Gesellschaft einige Namen, die in unserem Hochschulwesen
einen reichen, ja dröhnenden Klang haben, und deren Träger sich gegen die
Zumutung, das Andenken einer zweifelhaften Figur zu pflegen, energisch zur Wehr
setzen würden. Andrerseits ist es freilich nicht ausgeschlossen, daß gerade die
Ehrenrettung dieser angefochtenen Persönlichkeit Ziel und Anliegen der
Gesellschaft ist. Es wird ja heute — und auch gerade von akademischer Seite — viel
Ehre gerettet, und dort, wo sie nicht mehr zu retten ist, neu hergestellt.
Bartschedel war ein Heilsverkünder, gut, — aber vielleicht war das Heil, das er
verkündete, um nichts schlechter als das anderer Männer, denen man Denkmäler
gesetzt hat? Wer soll das entscheiden? Jedenfalls will ich meine Rede so
allgemein wie möglich halten, denn es gilt, wie
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