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Lieblose Legenden

Lieblose Legenden

Titel: Lieblose Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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unter
Akazien und Kastanien, die noch in vollem, prächtigem Grün standen, der Tee
serviert wurde. Hier überreichte mir die Sekretärin diskret einen geschlossenen
Briefumschlag, auf dessen Rückseite das Friedensohnsche Wappen prangte. Ich habe ihn soeben geöffnet. Er enthält die Rechnung für die
Expertise.
    Unter den Gästen befand sich auch Usteguy , begleitet von zwei jungen Damen, nicht denselben,
die ihn damals bei der Eröffnung begleitet hatten, denen er aber nicht minder
zugetan schien. Er kam von einem internationalen Leichtathletikertreffen in
Bologna, bei welchem er die Begrüßungsansprache gehalten hatte, war heiter,
braungebrannt, und ließ es an gutturalen Äußerungen des Wohlbehagens nicht
fehlen. Diese Philosophen verstehen jedenfalls, ihr Leben einzurichten. Darin
zumindest kann man viel von ihnen lernen.
     
    4. Oktober. Seit vorgestern wieder
zurück. Unmittelbar nach meiner Ankunft habe ich mich darangemacht, meinen
Rubens von den letzten Resten des Gemüsestillebens zu reinigen, aber bevor
dieses am Rande schwand, begann in der Mitte bereits der Frauenkopf zu weichen,
und was nunmehr dahinter erschien, war eine oberbayerische Gebirgslandschaft im
Zwielicht des scheidenden Tages. Es handelt sich, wenn mich mein
Erinnerungsvermögen für Landschaften nicht täuscht, um die Gegend von
Oberammergau. Ich kann nicht leugnen, daß mich der Tatbestand einer derart
unerwarteten Vielschichtigkeit ein wenig ärgerte. Denn ein solches Sujet paßt
natürlich noch weniger in Molés Rahmen als ein
Frauenkopf.
    Habe sofort an Friedensohn geschrieben,
ihn über seinen Irrtum aufgeklärt und ihm mitgeteilt, daß ich, unter solchen
Umständen, nicht bereit sei, den immerhin erheblichen Preis für die Expertise
zu bezahlen.
    Ich möchte übrigens wissen, was sich
wohl hinter dem »Urteil des Paris« verbirgt, das die Staatsgalerie damals auf
Friedensohns Urteil hin angekauft hat. Die Ausmaße dieses Bildes geben
jedenfalls zu Vermutungen ungeheuerlicher Panoramen Anlaß, deren malerische
Qualität allerdings, wenn sie der meines Bildes gleichkommt, es aus dem Gebiet
der Kunst in das der Heimatkunde versetzen würde. — Freilich mögen solche
Zweifel übertrieben sein: eine unglückselige Entdeckung wie die meine verleitet
zu pessimistischer Sicht in Dingen der Kunstgeschichte.
    Gestern abend im Konzert. Wörthwanger dirigierte seine zweite Symphonie. Ich
bewundere die Akribie und Werktreue, mit der er sich an die Romantiker von
Schubert bis Bruckner gehalten hat, in makelloser Stilreinheit .
Nur im letzten Satz, da erschien plötzlich Puccini, was ich als recht
stilwidrig empfand, allerdings wohl als einziger; denn der Beifall war groß: als
habe ein jeder seinen Lieblingskomponisten wiedererkannt und danke nunmehr dem
Interpreten innig für eine tiefe, aber köstlich-schlichte Nachempfindung.
     
    1 6. Oktober. Gestern aus Osnabrück zurückgekehrt. Meine Rede bei der
feierlichen Denkmalsenthüllung war ein großer Erfolg und die mir
zuteilgewordene Ehrung als größtem lebenden Bartschedelforscher beinahe
beschämend. Es gelang mir, während der Rede meine ängstliche Spannung zu
verbergen, denn selbstverständlich erwartete ich jeden Augenblick, mich dem Mann
gegenüberzufinden, der die Einladung zu einer Gedenkrede auf Grund seiner
tatsächlichen Forschung verdient und somit auch erwartet hatte. Indessen, er
blieb aus, und das Rätsel hat sich bisher nicht geklärt. Ich vermute in dem
Manne einen Namensvetter, einen eifrigen, unermüdlichen Weltfremdling, der über
stiller, nur von einem Häuflein Erlesener anerkannter Forschungsarbeit, nach
einem Leben enthaltsamster Zurückgezogenheit, unauffällig verstorben ist,
beweint etwa von einer alten Haushälterin, die nicht wußte, an wen sie sich mit
der Todesnachricht und den unzähligen Seiten seines beinahe vollendeten
Lebenswerkes wenden sollte.
    Übrigens handelt es sich, wie ich
allerdings erst feststellte, als die Hülle fiel, nicht um Gottfried Willibald
Bartschedel, sondern um Christian Theodor Bartschedel, zu welchem ich damals
beim Blättern im Nachschlagewerk nicht vorgedrungen war, da ich keinen zweiten
Träger dieses Namens vermutet hatte. Ich leugne nicht, daß sich meiner die
Empfindung bemächtigte, ein wenig verantwortungslos gehandelt zu haben. Aber
ein Blick in die Enzyklopädie heute morgen hat mich beruhigt. Christian Theodor Bartschedels Verdienste sind wesentlich allgemeinerer Natur als die Gottfried Willibald Bartschedels , dessen

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