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Lieblose Legenden

Lieblose Legenden

Titel: Lieblose Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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Aufgabe
erfüllt. — Ja, ich habe mich letzthin sogar öfters gefragt, ob das, was ich
erfüllt habe, wirklich meine Aufgabe gewesen ist, oder ob ich nicht vielleicht
zu weit gegangen bin, indem ich der sterblichen Hülle einiger Menschen einen
materiellen Wert verliehen habe, der ihr nicht zukommt. — Aber Sie, Fräulein Wiesendanck : Sie hatten doch eine schöne Zukunft vor sich .«
    »Ich habe sie noch vor mir«,
sagte Hedwig mit dem Triumph einer zu unerwartet-prächtiger Blüte erwachten Mauerblume; »das Gift ist nur in Ihrer Tasse. Ich dagegen trete
morgen meine erste Tournee um die Welt an: als einzige Pianistin mit
einem Westcotte auf dem Rücken !«
    Rudolf lächelte. »Und wieviel hat er
Ihnen dafür bezahlt, daß Sie mich aus der Welt schaffen ?«
    »Wer?«
    » Rosenbarth .«
    »Zehntausend.«
    »Zu wenig«, sagte Rudolf, stellte die
Tasse ab und verschied. Hedwig aber holte ihr Tagebuch aus blauem Leder hervor,
um diese beiden letzten Worte eines großen Künstlers für die Ewigkeit
festzuhalten. Das Tagebuch dürfte allerdings erst nach ihrem Tode geöffnet
werden. Dann würde man ihr, um ihres Rückens willen, den Mord zu verzeihen
haben, und neben Westcotte würde sie in die Ewigkeit
eingehen. — »Zu wenig«, schrieb sie.
    Allein, während sie schrieb, wurde sie
sich der Tat und ihrer Motive voll bewußt. Angesichts dieser beiden Worte
tauchte ihre ganze grausame Unerfülltheit vor ihrem Innern auf; ihr Dasein,
nicht einer Künstlerin, sondern einer Dienerin der Künste, noch nicht einmal
groß genug für eine rühmliche Vergänglichkeit; auch die Hand eines
Unsterblichen hatte nur ihre sterbliche Hülle veredeln können, und selbst von
dieser nur einen der unedleren Teile. »Zu wenig!«
    Behutsam goß Hedwig Wiesendanck einige farblose Tropfen in ihre Teetasse. Dann legte sie das
totenkopfgeschmückte Fläschchen vorsichtig in Rudolfs Rechte. Wenn man sie so
fände, dachte sie, möge man vielleicht denken, Rudolf Westcotte habe mit ihr, Hedwig Wiesendanck , vereint in den Tod
gehen wollen. Es war dies ihr letzter, verzweifelter Griff nach einem lang-entschwundenen
Traum von Glanz und Erfüllung. Indessen, dieser Verdacht regte sich bei
niemandem, der Rudolfs Bedeutung auch nur erahnt, oder Hedwigs Klavierspiel
gehört hatte.

Aus meinem Tagebuch
     
     
     
     
     
     
    22. September. Ereignis der Woche: die
Ausstellung neuer Bilderrahmen von Mario Molé in der
Galerie Kröller . Gestern nachmittag Eröffnung mit
Sherry und vorzüglichen Käsestangen. Daß die Rahmen keine Bilder enthielten,
wurde auch diesmal von den Anwesenden als selbstverständlich hingenommen. Sie
seien — wie es im Katalog hieß — als Objekte in sich so meisterhaft, daß ein
Gemälde in ihrer Mitte diese sublime Vollkommenheit stören, den Blick des
Beschauers ablenken würde. Der Rahmen als Selbstzweck: der Satz »l’art pour l’art«
vielleicht in der extremsten Form seiner Anwendung. Ein Problem, das über das
rein Ästhetische beinah hinauszugehen scheint und über das zweifelsohne in
Zukunft auf berufener, und vermutlich auch auf unberufener Seite viel
diskutiert werden wird. Der Gedanke erscheint auch mir kühn, reizt jedoch zum
Widerspruch, dem ich allerdings im Kreise der Geladenen keinen Ausdruck gab;
seine Formulierung will überlegt sein. Nun bin ich freilich auch kein Experte
in diesen Dingen.
    Das pièce de résistance war Nr. 11: ein horizontaler Stuckrahmen in
Altrosa, mit durchgehendem, an den Ecken geballtem Akanthus-Ornament aus
Blattgold, leicht patiniert. Mole soll mehrere Jahre daran gearbeitet haben.
Konsul Bellroth kaufte ihn, zwischen zwei Gesprächen,
und bestätigte damit aufs neue sein stets wieder überraschend unbeirrbares
Gespür für das Erlesene. Der kleine Akt wurde von anerkennendem Murmeln
begrüßt. Einige klatschten sogar, was ihn zur symbolischen Manifestation einer
gewissen maßvollen Fortschrittlichkeit machte, einer Demonstration schönen,
echten Mäzenatentums.
    Usteguy hielt die Eröffnungsansprache. Wies
auf die Bedeutung des Bilderrahmens für unser Kulturleben hin. Der Bilderrahmen
— so sagte er etwa — sei, betrachte man ihn in seinem übertragenen Sinne, eine
der verbindenden Seinseinheiten unserer wesensbewußten Welt, als gewissermaßen
positives Äquivalent zu der latenten, aber drohenden Schicksalsverlorenheit
einer Zeit, die des Gefühls für transzendente Werte verlustig gegangen sei.
Großer Applaus, in den auch der Künstler miteinstimmte .
Eben das, meinte er

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