Lieblose Legenden
Die unterschriebene Police in der Hand, verabschiedete ich mich. Er
rief mir nach: »Schick mir die Autogrammsammler herein !« und zog einen dicken Stoß Papiere aus der Schublade. Ich sage es nicht gern:
aber der letzte Blick, den er mir zuwarf, kam einem Grinsen gleich.
Ein seltsamer Mensch, dachte ich
während der Eroika ; wahrhaftig, eine Doppelbegabung
von nicht alltäglichen Ausmaßen.
Warum ich mich in eine Nachtigall verwandelt habe
Ich habe mich aus Überzeugung in eine
Nachtigall verwandelt. Da weder die Beweggründe noch der Entschluß zu einer
derartigen Tat in den Bereich des Alltäglichen gehören, denke ich, daß die
Geschichte dieser Metamorphose erzählenswert ist.
Mein Vater war Zoologe und verbrachte
sein Leben damit, ein mehrbändiges — in Fachkreisen gerühmtes — Werk über
Lurche zu schreiben, da er die Literatur auf diesem Gebiet für unzulänglich,
teilweise fehlerhaft hielt. Mich hat, vielleicht zu Unrecht, diese Arbeit
niemals wirklich interessiert, obgleich es bei uns zu Hause viele Frösche und
Molche gab, deren Lebensart und Entwicklung ein Studium gerechtfertigt hätten.
Meine Mutter war vor ihrer Heirat
Schauspielerin gewesen und hatte ihren Höhepunkt mit der Darstellung der
Ophelia am Landestheater in Zwickau erreicht, diesen Höhepunkt aber niemals
überschritten. Dieser Tatsache habe ich es wohl zu verdanken, daß ich Laertes
genannt wurde, ein zwar wohlklingender, aber ein wenig weithergeholter Name.
Dennoch war ich ihr dankbar, daß sie mich nicht Polonius oder Güldenstern genannt hat, obwohl es jetzt natürlich gleichgültig ist.
Als ich fünf Jahre wurde, schenkten mir
meine Eltern einen Zauberkasten. Ich lernte also gewissermaßen zaubern — wenn
auch in kindlich-begrenztem Maße — bevor ich lesen und schreiben gelernt hatte.
Mit den in diesem Kasten enthaltenen Pulvern und Instrumenten konnte man
farbloses Wasser in rotes und wieder zurück in farbloses Wasser verwandeln,
oder man konnte ein hölzernes Ei durch einfaches Umstülpen enthalben ,
bei welchem Prozeß die andere Hälfte spurlos verschwand; man konnte ein Tuch
durch einen Ring ziehen, wobei das Tuch die Farbe wechselte, kurz, es war
nichts in dem Kasten enthalten, was, wie es bei den meisten Spielzeugen der
Fall ist, eine Miniatur der Wirklichkeit dargestellt hätte, ja, die Hersteller
dieser Phantasiewerkzeuge schienen es darauf angelegt zu haben, den
erzieherischen Sinn in keiner Weise zu berücksichtigen und das erwachende
Gefühl für das Nützliche zu unterdrücken. Diese Tatsache hat einen
entscheidenden Einfluß auf meine spätere Entwicklung ausgeübt, denn das
Vergnügen an der Verwandlung eines nutzlosen Gegenstandes in einen anderen
nutzlosen Gegenstand hat mich gelehrt, das Glück auf dem Wege der wunschlosen
Erkenntnis zu suchen. Gefunden habe ich dieses Glück allerdings vor meiner
Verwandlung nicht.
Zunächst jedoch wurde mein Ehrgeiz
angestachelt. Bald genügte mir mein Zauberkasten nicht mehr, denn ich konnte
inzwischen lesen und las auf dem Deckel die entwürdigende Aufschrift »Der
kleine Zauberkünstler«.
Ich erinnere mich noch des Nachmittags,
als ich zu meinem Vater ins Arbeitszimmer kam und ihn bat, er möge mir
Zauberunterricht erteilen lassen. Er war versunken in die Welt der Lurche und
sah mich abwesend an. Ich trug meine Bitte vor; er willigte sofort ein. Ich
kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß er dachte, es handle sich um
Klavierunterricht, was auch daraus hervorgeht, daß er mich einige Zeit danach
fragte, ob ich schon Czerny-Etuden spiele. Ich
bejahte diese Frage, denn ich war sicher, daß ich meine Behauptung nicht zu
beweisen haben würde.
Ich nahm also Zauberunterricht bei
einem Künstler, der auf mehreren Varietébühnen unserer Stadt auftrat und
übrigens auch, wie ich seinen Reden entnahm, Erfolge in London und Paris zu
verzeichnen hatte, und war nach einigen Jahren — ich besuchte inzwischen die
höhere Schule — so weit, daß ich Kaninchen aus einem Zylinderhut hervorzaubern
konnte. Ich gedenke meiner ersten Vorstellung, die ich im Eltern- und
Verwandtenkreise gab, mit Vergnügen. Meine Eltern waren stolz auf meine
Fähigkeit, die ich mir sozusagen am Rande erworben hatte und die ich in Zukunft
wohl an Stelle von Hausmusik neben meinem zukünftigen Beruf — von dem sie keine
bestimmte Vorstellung hatten — ausüben würden. Aber ich hatte andere Pläne.
Meinem Lehrmeister war ich entwachsen
und experimentierte von nun ab
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