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Lieblose Legenden

Lieblose Legenden

Titel: Lieblose Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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so wütend, daß er auf eine Aufnahme verzichtete, seine ebenfalls
empörte Frau zu sich herunterrief und mit ihr wegging, nachdem er Martin, der
sich den Verlauf der Dinge vom Fenster aus ansah, zugerufen hatte, daß ihr
Freundschaftsverhältnis als abgebrochen zu betrachten sei. Martin trug zwar an
dem Vorfall keine Schuld, hielt es aber für sinnlos, diesen Umstand zu
erwähnen. Er nahm die Kündigung lächelnd zur Kenntnis und zog mit vergnügter
Gelassenheit die Strickleiter hinauf. Wie glücklich, dachte er, ist doch eine
Ehe, in welcher die Reaktionen der Partner so schön aufeinander abgestimmt
sind.
    Der erste der beiden langen
Betonpfeiler brach bei dem Besuch von Martins Tante. Sie kam eines Tages,
begrüßte ihn von unten und teilte ihm mit, sie habe ihm kein Einzugsgeschenk
mitgebracht, da sie (im stillen) zu sich gesagt habe, daß bei einer solchen
Wohnung jedes neue Stück das Gleichgewicht gefährde und deshalb als Ballast zu
betrachten sei. Martin rief ihr zu, daß er diese Erwägung für durchaus
vernünftig halte, daß er auch aus diesem Grunde seine Gäste nicht bewirte, denn
eine zu volle Speisekammer sei ebenso gefährlich wie zu volle Mägen der Gäste,
obgleich sich nach Nahrungsaufnahme das Gewicht natürlicherweise besser
verteile. Nach dieser Einleitung warf er ihr die Strickleiter hinunter, aber
sie entglitt der alten Dame und schlug gegen einen der beiden Pfeiler. Er
zerbröckelte wie ein trockener Sandklumpen. Der morsche Beton rieselte in
kleinen Strömen herab, und was vor wenigen Sekunden noch eine Säule gewesen
war, war jetzt ein Haufen. Die Tante enteilte, ohne sich umzusehen, die
Strickleiter pendelte hin und her, aber die Wohnung stand; nunmehr auf einem
Betonpfeiler und auf einer Stahlstütze. Der Pfeiler wurde von Martins Freund
Robert zertrümmert. Er war der einzige gewesen, der es noch gewagt hatte, nicht
nur die Wohnung zu betreten, sondern auch, ungeachtet der immer drohenden
Gefahr, sich dort aufzuhalten. Zuerst allerdings war seine Unbefangenheit
gekünstelt gewesen, aber dann hatte er sich an die heikle Lage gewöhnt und diesen
Zustand eines Abends von sich aus erwähnt, indem er in Frage stellte, ob die
Wohnung zusammenbrechen werde, wenn auch der zweite Pfeiler falle. Martin,
dessen Auftreten in den letzten Wochen eine gewisse Überlegenheit gewonnen
hatte, antwortete lächelnd, er solle es doch versuchen und drückte ihm einen
Hammer in die Hand. Robert kletterte hinunter und zertrümmerte den Pfeiler mit
einem mittelstarken Hammerschlag. Danach wagte er sich nicht mehr hinauf, und
Martin mußte ihm seinen Hut hinunterwerfen, den er, in Voraussicht der
kommenden Dinge, von der Garderobe geholt hatte. Robert legte den Hammer hin,
rieb den Betonstaub von den Händen, setzte den Hut auf und ging.
    Noch in derselben Nacht machte sich
Martin an das Zerschlagen der letzten Stahlstütze und damit des einzigen
Haltes, der seine Wohnung mit dem Erdboden verband. Es war nicht Neugier, die
ihn dazu veranlaßte, denn er glaubte längst zu wissen, daß seine Wohnung nicht
auf den morschen Trägern ruhe, die das Schicksal willkürlich stehengelassen hatte.
Er wollte sich vielmehr dieses einzigen Haltes entledigen, der nur noch Schein
war und optisch geradezu lächerlich wirkte. Er dachte, daß nun erst die Wohnung
das Ansehen erhabener Sicherheit erhalten werde, als sei sie von unsichtbaren
Händen getragen. Er kletterte hinunter, legte mit ruhiger Zuversicht die Hände
an den letzten Träger und knickte ihn wie eine Blume.
    Er hatte keine Zeit mehr, sich seines
fatalen Irrtums bewußt zu werden. Das Dach sackte zusammen, die Mauern stürzten
ein und schlugen den Fußboden in Stücke. Die zertrümmerte Wohnung fiel beinahe
als ganzes Stück und begrub Martin unter Staub und Trümmern.

Eine größere Anschaffung
     
     
     
     
     
     
    Eines Abends saß ich im Dorfwirtshaus
vor (genauer gesagt, hinter) einem Glas Bier, als ein Mann gewöhnlichen Aussehens
sich neben mich setzte und mich mit gedämpft-vertraulicher Stimme fragte, ob ich eine Lokomotive kaufen wolle. Nun ist es zwar ziemlich
leicht, mir etwas zu verkaufen, denn ich kann schlecht nein sagen, aber bei
einer größeren Anschaffung dieser Art schien mir doch Vorsicht am Platze.
Obgleich ich wenig von Lokomotiven verstehe, erkundigte ich mich nach Typ,
Baujahr und Kolbenweite, um bei dem Mann den Anschein zu erwecken, als habe er
es hier mit einem Experten zu tun, der nicht gewillt sei, die Katze im Sack zu
kaufen. Ob

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