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Lieblose Legenden

Lieblose Legenden

Titel: Lieblose Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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ich ihm wirklich diesen Eindruck vermittelte, weiß ich nicht;
jedenfalls gab er bereitwillig Auskunft und zeigte mir Ansichten, die das
Objekt von vorn, von hinten und von den Seiten darstellten. Sie sah gut aus,
diese Lokomotive, und ich bestellte sie, nachdem wir uns vorher über den Preis
geeinigt hatten. Denn sie war bereits gebraucht, und obgleich Lokomotiven sich
bekanntlich nur sehr langsam abnützen, war ich nicht gewillt, den Katalogpreis
zu zahlen.
    Schon in derselben Nacht wurde die
Lokomotive gebracht. Vielleicht hätte ich dieser allzu kurzfristigen Lieferung
entnehmen sollen, daß dem Handel etwas Anrüchiges innewohnte, aber arglos wie
ich war, kam ich nicht auf die Idee. Ins Haus konnte ich die Lokomotive nicht
nehmen, die Türen gestatteten es nicht, zudem wäre es wahrscheinlich unter der
Last zusammengebrochen, und so mußte sie in die Garage gebracht werden, ohnehin
der angemessene Platz für Fahrzeuge. Natürlich ging sie der Länge nach nur etwa
halb hinein, dafür war die Höhe ausreichend; denn ich hatte in dieser Garage
früher einmal meinen Fesselballon untergebracht, aber der war geplatzt.
    Bald nach dieser Anschaffung besuchte
mich mein Vetter. Er ist ein Mensch, der, jeglicher Spekulation und
Gefühlsäußerung abhold, nur die nackten Tatsachen gelten läßt. Nichts erstaunt
ihn, er weiß alles, bevor man es ihm erzählt, weiß es besser und kann alles
erklären. Kurz, ein unausstehlicher Mensch. Wir begrüßten einander, und um die
darauffolgende peinliche Pause zu überbrücken, begann ich: »Diese herrlichen
Herbstdüfte...« — »Welkendes Kartoffelkraut«, entgegnete er, und an sich hatte
er recht. Fürs erste steckte ich es auf und schenkte mir von dem Kognak ein,
den er mitgebracht hatte. Er schmeckte nach Seife, und ich gab dieser Empfindung
Ausdruck. Er sagte, der Kognak habe, wie ich auf dem Etikett ersehen könne, auf
den Weltausstellungen in Lüttich und Barcelona große Preise, in St. Louis gar
die goldene Medaille erhalten, sei daher gut. Nachdem wir schweigend mehrere
Kognaks getrunken hatten, beschloß er, bei mir zu übernachten, und ging den
Wagen einstellen. Einige Minuten darauf kam er zurück und sagte mit leiser,
leicht zitternder Stimme, daß in meiner Garage eine große Schnellzugslokomotive
stünde. »Ich weiß«, sagte ich ruhig und nippte von meinem Kognak, »ich habe sie
mir vor kurzem angeschafft .« Auf seine zaghafte Frage,
ob ich öfters damit fahre, sagte ich, nein, nicht oft, nur neulich, nachts, da
hätte ich eine benachbarte Bäuerin, die ein freudiges Ereignis erwartete, in die
Stadt ins Krankenhaus gefahren. Sie hätte noch in derselben Nacht Zwillingen
das Leben geschenkt, aber das habe wohl mit der nächtlichen Lokomotivfahrt
nichts zu tun. Übrigens war das alles erlogen, aber bei solchen Gelegenheiten
kann ich der Versuchung nicht widerstehen, die Wirklichkeit ein wenig zu
schmücken. Ob er es geglaubt hat, weiß ich nicht, er nahm es schweigend zur
Kenntnis, und es war offensichtlich, daß er sich bei mir nicht mehr wohl
fühlte. Er wurde ganz einsilbig, trank noch ein Glas Kognak und verabschiedete
sich. Ich habe ihn nicht mehr gesehen.
    Als kurz darauf die Meldung durch die
Tageszeitungen ging, daß den französischen Staatsbahnen eine Lokomotive
abhanden gekommen sei (sie sei eines Nachts vom Erdboden — genauer gesagt vom
Rangierbahnhof — verschwunden), wurde mir natürlich klar, daß ich das Opfer
einer unlauteren Transaktion geworden war. Deshalb begegnete ich auch dem
Verkäufer, als ich ihn kurz darauf im Dorfgasthaus sah, mit zurückhaltender
Kühle. Bei dieser Gelegenheit wollte er mir einen Kran verkaufen, aber ich
wollte mich in ein Geschäft mit ihm nicht mehr einlassen, und außerdem, was
soll ich mit einem Kran?

Ich trage eine Eule nach Athen
     
     
     
     
     
     
    Heute ist es ein Jahr her, daß ich
abends auf der Akropolis stand und, mit einem Gefühl tiefer Erfüllung, eine
Eule entflattern ließ, die ich nach Athen getragen
hatte.
    Der Entschluß zu dieser Tat war eines
Nachts in mir gereift, als ich nicht schlafen konnte. In solchen dunklen
Stunden fasse ich Entschlüsse, die ich dann, wenn die Umstände es auch nur
irgendwie erlauben, unmittelbar in die Tat umsetze. Dieser neue und bis dahin
vielleicht kühnste Entschluß ließ sich nun zwar nicht ohne weiteres
verwirklichen, wohl aber konnte seine Ausführung sofort vorbereitet werden. Ich
kleidete mich an und machte mich auf den Weg zu meinem Vogelhändler. Sein

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