Lieblose Legenden
Verwandte, vor allem aber Flaschen
möglichst potenten Inhalts mitzubringen. Nur mit Mühe gelang es mir, den Glaser
davon abzuhalten, das gleiche zu tun. Ich klopfte ihm freundschaftlich auf die
Schulter und erklärte ihm, daß, wenn zu viele Leute kämen, man gegenseitig
nichts mehr voneinander habe; denn das Wesentliche jeder Geselligkeit sei doch
schließlich das »Gespräch«. Überraschenderweise leuchtete ihm das ein.
Zuerst kam Gerda Stoehr ,
flankiert von zwei älteren Herren, untadelig, mit Stil, geborene Beschützer,
beide. Befremdet sahen sie sich um. Aber als ihr wuscheliger Schützling meine
Frau in Kindersprache begrüßte, lächelten sie einander bestätigend zu, und der
Prozeß des Auftauens begann, der nun vor nichts und niemandem mehr haltmachte.
Und dann brach der laute Schwarm der
Gäste herein, jeder mit einer oder mehreren Flaschen beladen. Einige unter
ihnen kannte ich, so zum Beispiel Vera Erbsam , eine
intime Busenfeindin meiner Frau, die mir immer Augen gemacht hat, bis ich ihr eines
Tages erzählte, daß mein Vater eine Dampfbäckerei in Dobritzburg betriebe;
seitdem sah sie mich nur noch argwöhnisch an. Trotzdem war sie gekommen und
hatte einen jungen Mann mitgebracht, den ich ebenfalls oberflächlich kannte,
einen Assessor oder Referendar, wenn das nicht überhaupt das gleiche ist. Er
sah aus wie ein Bräutigam, vermutlich war er der ihre. Dann war da ein
Filmschauspielerehepaar rätselhafter Herkunft, sie hießen de Pollani , aber wohl nicht wirklich, waren wohl in
Wirklichkeit auch kein Ehepaar. Ich hatte die Frau einmal gemalt, bei welcher
Gelegenheit sie ihre Sonnenbrille abgenommen hatte. Ich hörte Engelhardt, der
inzwischen die Rolle des Gastgebers übernommen hatte, Frau de Pollani mit » darling « anreden,
womit er das Panorama der Welten, auf deren Boden er sich mit Sicherheit
bewegte, um einen weiteren Ausschnitt vergrößerte.
Es ist unnötig, hier weiter auf andere
Gäste als Individuen einzugehen. Um der Stimmung gerecht zu werden, genügt es,
zu sagen, daß noch vor Anbruch der Nacht der Gästekörper eine homogene Masse
war, in welcher dauernd nüchterne Neuankömmlinge untertauchten, um beinahe
sofort Glieder der Allgemeinheit zu werden. »Das ganze Leben müßte ein
Atelierfest sein«, hörte ich nicht weit von mir einen jungen Kollegen sagen.
»Das ganze Leben ist ein Atelierfest«, sagte der Bärtige neben ihm. Er war
Kunstkritiker, auch berühmt für seine treffenden ex-tempore-Aphorismen .
Mir fiel ein, daß ich ihn diesen Abend zum Essen eingeladen hatte, aber er
schien sich mit der veränderten Situation abgefunden zu haben. Er stand da,
lächelte versonnen in sein Glas und tippte dauernd mit der Schuhspitze an den
fetten Schmitt-Holweg, der kolossal und trunken am Boden lag. Er war Bildhauer,
trug seine Berufung mit schmerzlicher Erbitterung, der er lallend Ausdruck
verlieh, und sah aus, als habe Rabelais ihn im Rausch
erfunden. Kurz vor Mitternacht wurde ich an die Wand gedrückt, und zwar mit dem
Gesicht zur Mauer. Ein bacchantischer Zug wälzte sich an mir vorbei und machte
es mir unmöglich, vermittels einer halben Drehung mich wenigstens auf meine
eigenen Bilder setzen zu können. In dieser verzweifelten Lage entdeckte ich
einen Hammer in der Tasche meines Nebenmannes. Es war der Glaser. Ich rief:
»Gestatten Sie einen Augenblick« — obgleich Höflichkeit hier völlig fehl am
Platz war; denn man konnte sich kaum noch verständlich machen — , nahm ihm den Hammer aus der Tasche und begann damit die
Wand aufzuhauen.
Da ich hinten nicht weit ausholen
durfte, um die Gäste nicht zu gefährden, war diese Arbeit anstrengend und ging
recht langsam von der Hand. Zuerst bröckelte der Putz in kleinen Scheiben ab,
dann lockerte sich der Beton, der als Kies und Sand abfiel und bald mir zu
Füßen einen Haufen bildete. Die Gesellschaft hinter mir schien einen Höhepunkt
erreicht zu haben, aber es kümmerte mich nicht. Aus der Ecke an der anderen
Seite hörte ich durch den trunkenen Lärm eine Frauenstimme ein anstößiges Lied
singen. Unter gewöhnlichen Umständen wäre mir das wegen Frau von Hergenrath peinlich gewesen, aber nun, da ich im Begriff
war, aus dem Atelier zu schlüpfen, war es mir gleichgültig. Übrigens erkannte
ich auch bald, daß es Frau von Hergenrath war, die
sang: Offensichtlich besaß sie Eigenschaften, von denen ich nichts geahnt
hatte, da sie wohl auch einer gewissen Entfesselung bedurften, um voll
hervortreten zu können.
Das Loch
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