Liebst du mich wirklich, Raoul
erstickte beinahe an ihrem Frust und ihren bitteren Tränen. Das Dienstkleid war ihr ein paar Nummern zu groß, und sie musste die Schürze stramm ziehen, um diesen Makel auszugleichen. Mit zitternden Händen streifte Rhianna sich die flachen Schuhe über, die sie auch zum Kellnern in Rollo’s Café trug.
Im Haupthaus warf Carrie ihr zur Begrüßung einen bestürzten Blick zu. „Ich kann es nicht fassen! Deine Tante, meine Mutter, was denken die beiden sich eigentlich?“
„Sie verweisen mich auf meinen Platz, nehme ich an“, gab Rhianna zurück und umarmte ihre Freundin. „Mach dir keine Gedanken deswegen! Hinterher können wir unsere verschiedenen Erfahrungen austauschen.“
Der Abend wurde nicht so schlimm wie erwartet. Rhianna trug Tabletts, Teller, Servierplatten und Gläser herum und half später beim Auftragen des Festessens. Es blieb nur zu hoffen, dass sie für ihren Pflichteinsatz angemessen entlohnt wurde. Natürlich war einer der ersten Gäste, der einen Kommentar über ihre Erscheinung machte, Simon höchstpersönlich.
Er verspottete sie, goss heimlich Alkohol in die Fruchtbowle und machte sich ziemlich offensichtlich an das Geburtstagskind heran. Carrie schien das zu gefallen, Rhianna dagegen war von Simons Verhalten angewidert.
Sehr viel später erschien auch Raoul Penvarnon, obwohl Rhianna nicht mehr mit ihm gerechnet hatte. Sie schämte sich für ihre Uniform und wäre am liebsten im Boden versunken. Wann immer er seinem Landsitz einen Besuch abstattete, verhielt er sich ihr gegenüber ausgesprochen freundlich. Und auch wenn es nie wieder eine gemeinsame Verabredung gab, schickte er ihr dennoch jedes Jahr eine Geburtstagskarte.
Gegen Mitternacht kam Simon erneut auf Rhianna zu und fragte sie, ob sie mit ihm tanzen wolle.
„Ich bin zum Arbeiten hier“, zischte sie ihm zu und merkte, wie Mrs. Seymour sie missmutig betrachtete. „Kann ich dir noch irgendetwas bringen?“, fügte sie lauter hinzu.
„Tanz mit mir, dann sag ich es dir!“, gab er breit grinsend zurück.
„Hau ab!“
„Arme Cinderella! Aber du kannst nicht die ganze Nacht die Sklavin spielen. Du solltest wenigstens auf Carries Geburtstag anstoßen, wie alle anderen auch. Ich werde eine Flasche stibitzen, und dann treffen wir uns in zehn Minuten bei den Ställen.“
Ein paar Minuten Freiheit können nicht schaden, dachte Rhianna, und so stahl sie sich in einem unbeobachteten Moment davon. Nur der Mond erhellte den Stallplatz, und sie schlang fröstelnd die Arme um den Oberkörper.
„Carrie?“, rief sie in die Dunkelheit.
„Hier drüben“, erklang Simons Stimme aus einer leeren Pferdebox. Er stützte sich an der Wand ab, hatte sein Hemd leicht geöffnet und streckte Rhianna eine offene Flasche Champagner entgegen.
„Wo ist Carrie?“, wollte sie wissen.
„Drinnen und spielt die perfekte Gastgeberin.“ Er sprach etwas undeutlich. „Wo sonst?“
„Dann gehe ich auch wieder ins Haus“, sagte sie knapp. „Ich habe sowieso keine Zeit zum Feiern und ohne Carrie schon gar nicht.“
„Jetzt entspann dich mal, Süße! Wo ist das Problem? Wir sind heute Abend beide nicht die gefragtesten Gäste.“ Man roch den Alkohol in seinem Atem. „Du kannst doch nicht leugnen, dass du etwas von mir willst. Ich habe alles von deiner Schulkameradin erfahren, aber damals hat es mich noch nicht interessiert. Aber die Dinge, und auch die Menschen, ändern sich.“ Er schwieg kurz und legte den Kopf schief. „Wer hätte das gedacht? Im Handumdrehen vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan.“
Rhianna wurde zunehmend unwohl in ihrer Haut. „Simon, ich will jetzt wirklich zurück. Die Leute suchen mich bestimmt schon.“
„Aber meine Bedürfnisse sind wichtiger als ihre“, sagte er trotzig und packte sie am Arm.
Bevor sie protestieren konnte, presste er seinen Mund auf ihre Lippen und zerrte an den Knöpfen ihrer Dienstuniform.
Hinter ihnen ertönte eine kalte Männerstimme. „Hier bist du, Simon. Alle suchen dich, besonders Carrie. Dein Freund Jimmy ist betrunken und benimmt sich ziemlich daneben.“
Zu ihrem Entsetzen stellte Rhianna fest, dass die Stimme Raoul Penvarnon gehörte. Er stand in der offenen Boxentür und betrachtete sie abfällig.
„Und was soll ich da machen?“, erkundigte sich Simon gereizt.
„Du hast ihn mitgebracht, also lass dir etwas einfallen!“, antwortete Raoul scharf. „Jetzt gleich! Tut mir ja leid, dieses kleine Stelldichein zu stören, aber Carries Mutter ist ziemlich aufgebracht,
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