Liebst du mich wirklich, Raoul
als wäre sie niemals fort gewesen. Ihre Freundschaft mit Carrie blieb ebenfalls bestehen, und Carrie schaffte ihr Studium mit links. Und dann die wunderbare Marika Fenton, eine ehemalige Schauspielerin, die eine Abendschule für Schauspielerei betrieb. Sie benutzte ihre hervorragenden Kontakte, um ihre besten Schüler in guten Jobs unterzubringen.
Rhianna hatte ihrer Tante Kezia ein paar Mal geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten. Irgendwann starb die alte Frau recht plötzlich an einem Herzinfarkt. Ein peinlich berührter Francis Seymour teile Rhianna mit, dass sie auf den Wunsch ihrer Tante hin von der Beerdigung auszuschließen sei. Das Erbe wurde einem guten Zweck gespendet.
Wohl oder übel akzeptierte sie diesen harschen, endgültigen Abschied von ihrer Tante und widmete sich den Proben für ihre neueste große Rolle: Lady Ariadne in Castle Pride.
Seufzend zwang sie ihre Gedanken in die Gegenwart – auf Raouls Jacht – zurück. Wenn ihre Situation schon nicht zu ändern war, konnte sie es sich genauso gut gemütlich machen. Also zog sie sich ihr Nachthemd an, bürstete sich die Haare und ging im Bad ihre übliche Kosmetikroutine durch, so als wäre sie keine Gefangene eines attraktiven Piratennachfahren …
Leider gelang es ihr nicht, Schlaf zu finden. Es ärgerte sie ungemein, so blind in Raouls Falle getappt zu sein. Doch irgendwann taten die bequeme Matratze und die weichen Kissen ihre Wirkung. Als Rhianna das nächste Mal ihre Augen öffnete, war es bereits helllichter Tag.
Einen Moment lang blieb sie still liegen. Der entscheidende Tag war da.
Heute heiratet Carrie Simon, und ich bin nicht dort. Stattdessen befinde ich mich mit Raoul Penvarnon mitten auf dem Ozean. Es ist kein Traum, all das geschieht wirklich.
Rhianna dachte an die Albträume, die sie in der vergangenen Nacht wegen dieser Hochzeit gehabt hat. In diesem Augenblick klopfte es an die Tür.
„Buenos dias, Señorita“ , begrüßte Enrique sie strahlend und verbeugte sich respektvoll, so als hätte er nicht erst die Kabinentür aufschließen müssen. Vor sich trug er ein Tablett mit duftendem Kaffee. „Es ist ein herrlich sonniger Tag, und die See ist ruhig. Der Señor hofft, Sie leisten ihm zum Frühstück an Deck Gesellschaft.“
Ihr fielen eine ganze Reihe schroffer Antworten ein, von denen einige beinahe obszön klangen. Doch Rhianna ermahnte sich, dass Enrique schließlich nur ausführendes Organ war. „Danke“, sagte sie knapp.
Sobald sie allein war, dachte Rhianna an ihre Freundin Carrie. Wenigstens schien an diesem besonderen Tag die Sonne, was ihr wie ein gutes Omen vorkam. In wenigen Minuten war die Trauung vorüber, und Rhianna hoffte inständig, dass Simon sein Eheversprechen ernst nahm.
Kapstadt war weit genug entfernt, um den beiden gute Voraussetzungen für einen Neustart zu bieten. Dort gab es keine peinlichen Begegnungen auf Partys oder in der Stadt.
Nachdenklich trank Rhianna ihren Kaffee, ging anschließend ins Bad, um zu duschen, und zog sich dann weiße Shorts und ein grünweiß gestreiftes T-Shirt an. Die Kabinentür war nicht mehr abgeschlossen, als sie sich auf den Weg machte, ihren Entführer zu treffen.
Raoul begrüßte sie freundlich und führte sie zu einem gedeckten Frühstückstisch unter einem hellen Sonnenschirm. Er trug eine abgeschnittene Jeans und ein ausgewaschenes rotes Shirt, und in der Hand hielt er ein teures Smartphone, mit dem er vermutlich rund um die Uhr seine Arbeit erledigen konnte. Am liebsten hätte Rhianna das Ding in hohem Bogen ins Wasser geworfen.
„Hoffentlich hast du gut geschlafen?“, fuhr er unbekümmert fort.
„Unter diesen Umständen wohl kaum.“
„Aha? Dabei hast du tief und fest geschlafen, als ich heute Morgen einen Blick in deine Kabine geworfen habe“, sagte er. „Wie man sich täuschen kann …“
Gelassen rückte sie sich ihren Stuhl selbst zurecht. „Damit solltest du inzwischen deine Erfahrungen gemacht haben.“ Dann breitete sie ihre Serviette aus. „Warum leidest du eigentlich an morgendlicher Bettflucht? Plagt dich etwa dein Gewissen?“
„Ganz und gar nicht. Der Wellengang war in den frühen Stunden noch bedenklich hoch.“ Mit einer Hand fuhr er sich durch seine Haare. „Die Seeluft macht dich bestimmt hungrig?“
„Keine Ahnung. Eingesperrt in eine Fünf-Sterne-Zelle habe ich nicht viel davon mitbekommen.“
„Na, jetzt hast du ja deine Freiheit wieder und kannst durchatmen.“
„Was immer du auch glaubst“, sagte sie
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