Liebst du mich wirklich, Raoul
Du könntest zurück nach London fahren und dich mit irgendeiner Unpässlichkeit herausreden. Sommergrippe oder etwas in der Art.
Carrie würde furchtbar enttäuscht sein, andererseits hatte sie so viele Dinge, über die sie sich freuen konnte.
Ich muss ja auch gar nicht zurück nach London, überlegte Rhianna. Gepackte Koffer und Reisepass habe ich dabei, also warum buche ich mir nicht einen Flug irgendwohin, um eine Weile auszuspannen?
Aber warum sollte sie sich ewig den Kopf über die Vergangenheit zerbrechen? Sie konnte ohnehin nichts unternehmen, ohne dabei ihrer Freundin das Herz zu brechen. Und das kam überhaupt nicht infrage!
Außerdem schob sich Rhianna bereits in einer eng gedrängten Reihe mit anderen Fahrgästen aus dem Zug hinaus. Zögernd trat sie durch die geöffneten Türen ins Sonnenlicht.
Es war heiß, und trotzdem stellten sich die Härchen auf Rhiannas Arm auf, so als hätte sie eine kalte Brise gestreift. Ihre Sinne waren plötzlich geschärft, und dann sah sie ihn.
Er wartete am Rand des Bahnsteigs, größer und dunkler als all die anderen Menschen, die ihn umgaben. Irgendwie überraschte es Rhianna nicht, dass er sie erwartete – ganz offensichtlich wutentbrannt. Sie hatte sich einzureden versucht, dass Raoul keinen Einfluss mehr auf sie ausübte und sie von ihm nichts befürchten müsste.
Das sollte sich als Irrtum erweisen.
Dann trafen sich ihre Blicke, und Raoul Penvarnon kam langsam auf sie zu.
2. KAPITEL
Für Flucht war es nun zu spät. Hinter Rhianna drängten sich Leute vorbei und schoben sie weiter vorwärts. Auf ihn zu.
Unerwartet erklang eine Stimme neben ihr. „Sie sind doch Rhianna Carlow, nicht wahr? Lady Ariadne aus Castle Pride. Das nenne ich mal Glück! Darf ich Sie ganz kurz sprechen?“
Hastig drehte Rhianna sich zu dem jungen Mann um, der sie angesprochen hatte, doch ihre Erleichterung war nur von kurzer Dauer.
„Ich bin Jason Tully“, stellte er sich vor. „Vom Duchy Herald . Darf ich fragen, was Sie so weit weg von London tun? Man hat doch nicht etwa vor, die neue Staffel von Castle Pride nach Cornwall zu verlegen?“
„Nicht soweit ich weiß“, entgegnete sie ausweichend und nahm sich zusammen. Ein kleines Interview würde sie schon überstehen, auch wenn Raoul nur wenige Schritte entfernt von ihr stand. „Obwohl das natürlich sehr schön wäre. Aber eigentlich bin ich aufgrund eines privaten Besuchs in der Gegend.“
Wohlweislich verschwieg sie, dass es sich dabei um eine Hochzeitseinladung handelte für den Fall, dass ihre bloße Anwesenheit den Rest der Pressemeute mobilisieren und direkt zur Kirche führen könnte. Und das würde mit Sicherheit als Versuch ausgelegt werden, die Braut an diesem Tag auszustechen …
Sie schluckte den bitteren Geschmack in ihrem Mund tapfer hinunter.
„Verstehe.“ Der Journalist gab einem etwas älteren, vierschrötigen Mann ein Zeichen und sah an ihr vorbei zum Zug. Sein Begleiter hielt eine Kamera in die Höhe. „Sie reisen also allein, Rhianna? Ohne Begleitung?“
„Ich besuche nur ein paar Freunde“, antwortete sie und wagte nicht, auch nur einen Seitenblick in Raouls Richtung zu werfen.
„Sicher.“ Jason Tully grinste breit. „Sie haben bestimmt gehört, dass Ihr Schauspielkollege Rob Winters gerade offiziell die Trennung von seiner Frau bekannt gegeben hat. Ich frage mich, was Sie davon halten?“
Den hat dieser Geier also mit mir im Zug erwartet! dachte sie entnervt und unterdrückte ein Stöhnen.
„Nein, davon weiß ich nichts“, erwiderte sie knapp. Sie war sich dessen bewusst, dass Raoul jedes einzelne Wort dieser Unterhaltung genau verfolgte. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass er die Augenbrauen zynisch hochgezogen hatte. Mittlerweile blieben weitere Leute stehen und lauschten. „Aber falls das stimmt, tut es mir natürlich leid für die beiden. Sicher handelt es sich um eine kleine Krise, die bald wieder überwunden ist.“
„Aber Sie und Rob stehen sich doch ziemlich nahe?“, hakte Tully nach. „In der letzten Staffel gab es ein paar recht intime Liebesszenen zwischen Ihnen beiden.“
„Richtig“, lenkte sie ein und hob das Kinn. „Wir haben diese Szenen gespielt, weil wir Schauspieler sind, Mr. Tully. Dafür werden wir bezahlt. Wenn das dann alles wäre …“
„Nur noch ein Foto, wenn es Ihnen nichts ausmacht“, sagte Jason Tully hastig, als sein Blick plötzlich auf Raoul fiel, der schweigend neben ihm stand und seine Daumen in die Schlaufen seiner lässigen Jeans hakte.
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