Liebst du mich wirklich, Raoul
was geschehen war. „Dauernd ist sie so gemein zu dir. War sie schon immer so?“
Rhianna schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht“, sagte sie unglücklich. „Zum ersten Mal bin ich ihr bei Mummys Beerdigung begegnet. Da hat sie mir gesagt, dass sie zu meinem Vormund bestimmt worden ist und ich bei ihr leben sollte. Davor habe ich nicht einmal zu Weihnachten oder zum Geburtstag etwas von ihr gehört. Und man hat ihr angemerkt, dass sie nicht begeistert von dem Gedanken war, mich zu sich zu nehmen.“ Sie seufzte. „Und hier bin ich auch nicht wirklich willkommen. Ich wünschte, mir würde einfach mal jemand sagen, was ich eigentlich falsch gemacht habe.“
„Es liegt nicht an dir“, versicherte Carrie ihr. „Da bin ich mir ganz sicher.“
Rhianna biss sich auf die Lippe. „Du hast einmal gesagt, du hättest gehört, wie deine Eltern über mich gesprochen haben. Erzählst du mir, worum genau es dabei ging?“
Carries Gesicht lief rot an. Nach einer kurzen Pause sagte sie: „Das ist schon so lange her. Ich bin mir nicht sicher, dass ich es noch richtig in Erinnerung habe. Außerdem hätte ich sowieso nicht lauschen dürfen“, setzte sie kleinlaut hinzu. „Und ich halte es für besser, wenn du es von deiner Tante direkt erfährst.“
„Sie weigert sich aber, über diese Themen zu reden“, erklärte Rhianna verzweifelt und sah ihre Freundin flehentlich an. „Oh, bitte, Carrie! Ich muss endlich wissen, wieso mich jeder abzulehnen scheint.“
Carrie seufzte gequält. „Nun gut. Ich habe also im Erker gesessen und gelesen, als meine Eltern plötzlich in den Salon kamen. Sie haben mich nicht bemerkt, und meine Mutter sagte gerade, sie könne nicht fassen, dass Kezia Trewint die Dreistigkeit besitzt, ein fremdes Kind ins Haus zu holen. Mein Vater war der Meinung, dass deine Tante wohl keine andere Wahl gehabt hätte. Er riet dann meiner Mutter, nicht übereilt zu reagieren, weil man kaum eine Haushälterin finden würde, die so gut und tüchtig wie deine Tante ist.“
Sie schluckte ein paar Mal. „Danach meinte er, du wärst doch nicht schuld an der Situation. Man könne dich nicht für Dinge verantwortlich machen, die deine Mutter lange vor deiner Geburt getan hat. Meine Mutter solle das einfach akzeptieren. Daraufhin erklärte Mum, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fiele und gefragt, was wohl Raoul dazu sagen würde wenn er je davon erführe. Mein Vater hat versucht, sie zu beruhigen, aber vergeblich. Also ist er in seinen Golfclub gefahren.“
Tränen standen Carrie in den Augen. „Es tut mir so leid, Rhianna. Ich hätte mir das niemals anhören dürfen. Aber als ich dich kennenlernte, habe ich mich so gefreut, und ich fand es schade, wie einsam und verloren du wirktest. Ich fand, dass mein Vater recht hat. Nur jetzt befürchte ich, ich habe alles viel schlimmer gemacht.“
„Nein“, sagte Rhianna langsam. „Nein, das hast du nicht. Versprochen! Es ist nur … Ich wollte es wirklich wissen.“ Sie legte den Kopf in den Nacken. „Außerdem haben sie nicht recht. Meine Mutter war eine wundervolle Person.“
Und bildschön war sie auch, dachte Rhianna. Mit dunkelbraunen, glänzenden Haaren, die laut ihres Vaters die Farbe von Mahagoni hatten. Ihre grünen Augen veränderten die Form, wenn sie lachte.
Rhiannas Haare waren eher rotbraun.
Sie schluckte. „Nach Daddys Tod hat sie sich einen Job als Betreuerin gesucht. Und die Menschen, um die sie sich gekümmert hat, liebten sie alle. Es gab nur positive Rückmeldungen. Und Mrs. Jessop sagte einmal, wenn meine Mum sich nicht ständig um andere gekümmert hätte, wäre ihr vielleicht früher aufgefallen, dass etwas mit ihrer eigenen Gesundheit nicht stimmte. Dann hätte sie zum Arzt gehen können, bevor es … zu spät war.“ Ihre Stimme zitterte leicht. „Du siehst also, das muss ein Missverständnis sein. Anders kann ich mir das nicht erklären.“
Tröstend legte Carrie ihr eine Hand auf die Schulter. „Bestimmt hast du recht“, sagte sie, doch in ihren Augen blitzten deutlich Zweifel auf. Immerhin musste es einen Grund für den lieblosen Umgang von Kezia Trewint mit ihrer einzigen lebenden Verwandten geben.
Unwillkürlich kam Rhianna der Tag in den Sinn, an dem ihr Raoul Penvarnon zum ersten Mal begegnet war. Es war ein heißer, stickiger Augusttag gewesen, an dem die Sonne der Erde so nah zu sein schien, dass man sie mit den Händen berühren konnte.
Carrie, Simon und Rhianna waren nun schon fast ein Jahr lang befreundet und
Weitere Kostenlose Bücher