Liebst du mich wirklich, Raoul
verbrachten jede freie Minute zusammen. An diesem Tag waren sie am Strand, tobten gemeinsam im Meer, und Rhianna konnte sich als beste Schwimmerin von allen Dreien beweisen. Irgendwann wollte Simon zurück nach Hause, da seine Eltern zum Abendessen Besuch von Freunden erwarteten.
Trotz der Hitze machten sie wie immer ein Wettrennen hinauf zur Klippe. Gegen Simons lange Beine hatten die beiden Mädchen für gewöhnlich kaum eine Chance, aber an diesem speziellen Nachmittag verlor er einen seiner neuen Turnschuhe und blieb stehen, um sich danach zu bücken. Das gab Carrie und Rhianna einen unverhofften Vorsprung, und Kopf an Kopf ging der Wettlauf zwischen den beiden weiter, bis Carrie strauchelte. Lachend und völlig außer Atem erreichte Rhianna das Ziel und prallte dabei mit einem hochgewachsenen, kräftigen Mann zusammen, der sie an den Schultern packte, als Rhianna erschrocken einen Schritt rückwärts stolperte: „Was haben wir denn da? Einen flüchtigen Eindringling? Das hier ist Privatgrund!“
Entsetzt starrte sie in das Gesicht des Fremden, in seine starren, eisblauen Augen und auf den harten, verkniffenen Mund. Für einen Sekundenbruchteil wirkte der Mann leicht amüsiert, doch dann betrachtete er nur ausdruckslos ihre zerzausten Locken, die ein hübsches, überraschtes Gesicht umrahmten.
„Hi“, sagte sie schlicht. „Ich bin Rhianna Carlow. Und ich lebe hier.“
Er atmete scharf ein und ließ sie los. Beinahe angewidert trat er einen Schritt zurück. „Ach ja“, murmelte er kaum hörbar. „Das Kind. Hätte ich fast vergessen.“
„Raoul!“ Carrie hatte sie eingeholt und warf sich dem Mann in die Arme. „Wie großartig! Niemand hat mir gesagt, dass du vorbeikommst.“
„Es sollte eine Überraschung sein“, antwortete er und erwiderte ihre Umarmung mit etwas mehr Zurückhaltung. Dann fügte er an Rhianna gewandt hinzu: „Scheint der richtige Tag für Überraschungen zu sein.“
Noch jemand, der etwas dagegen hat, dass ich hier bin, dachte sie.
Dann stieß Simon zu ihnen, und seine Ankunft lenkte die Aufmerksamkeit von Rhianna ab. Kurz darauf kam Moira Seymour über den perfekt getrimmten Rasen auf sie zu, gekleidet in kühle, blaue Seide und mit einem riesigen Strohhut auf dem Kopf.
„Simon, mein Lieber“, flötete sie schon von Weitem. „Deine Mutter hat angerufen und gefragt, wo du bleibst. Carrie, Liebling, zieh dich bitte um zum Essen!“ Sie warf einen flüchtigen Blick auf Rhianna. „Und ich bin sicher, junge Dame, deine Tante findet auch irgendetwas für dich.“
Dies war die erste Bemerkung, die Mrs. Seymour je direkt an Rhianna gerichtet hatte. Und das auch nur, um Rhiannas untergeordnete Position als Anhängsel des Personals deutlich zum Ausdruck zu bringen. Einen Eindringling hatte Raoul Rhianna genannt, und vermutlich wusste er zu dem Zeitpunkt nicht, wie recht er damit hatte. Unerwünscht und ungeliebt.
Meine erste richtige Schauspielrolle, dachte Rhianna verbittert. Eine, die mich mein Leben lang verfolgen wird – wo immer ich auch hingehe, was immer auch geschieht.
Raoul Penvarnon.
Seine Person war es, die sie mit der unliebsamen Vergangenheit verband, und diese Verbindung wollte Rhianna so schnell wie möglich kappen. Schließlich war er endgültig aus ihrem Leben verschwunden, nur leider gelang es Rhianna nicht, ihn auch aus ihren Gedanken zu verdrängen.
Damals, bei seinem Besuch, wurde Rhianna wieder in die Wohnung über den Ställen verfrachtet und zu einem unsichtbaren Dasein verdammt. Die lautstark protestierende Carrie hatte man umgehend in die Aktivitäten des Hauses eingeflochten, sodass sie bald verstummte.
Rhianna war zwar aus der Nähe des Hausbesitzers entfernt worden, doch selbst mit dem Abstand fiel ihr auf, wie ungeheuer lebendig das alte Landhaus jetzt wirkte – als hätte man es aus einem Dornröschenschlaf geweckt.
Hinzu kamen die vielen Wochenendgäste, die zum Sonnenbaden oder Schwimmen in die Bucht hinunterströmten oder auf dem privaten Tennisplatz ihre Kondition trainierten. Abends wurden oft Dinnerpartys veranstaltet, die teilweise bis in die frühen Morgenstunden andauerten. Dann tönte Musik durch die geöffneten Fenster hinaus in die laue Nachtluft, und tanzende Paare drehten und wiegten sich auf der geschmückten Terrasse. Allen voran Raoul Penvarnon.
Das konnte Rhianna bei den wenigen Gelegenheiten beobachten, wenn sie sich unerlaubterweise von den Stallungen entfernte. Seine große, breit gebaute Gestalt schien überall
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