Liebster Mitbewohner
angelehnt.
„Das ist nicht dein Ernst“, flüsterte ich mehr zu mir selbst. Ich zog die Haustür auf und sah, dass es sehr wohl Felix’ Ernst war. Dort, mitten auf dem Fußabtreter vor der Haustür, lagen meine große Reisetasche und mein Rucksack. Der Reißverschluss der Tasche war noch offen. Felix hatte meine Kleidung, die ich vorher ausgeräumt hatte, willkürlich hineingestopft. Auch der Rucksack war nicht zu. Als Felix ihn vor die Tür geworfen hatte, waren ein paar Bücher, der mp3-Player und mein Handy heraus gefallen. Die Sachen lagen verstreut auf den Fliesen.
Ich sank auf die Knie . Plötzlich kam ich mir dumm vor. Weil ich das, was ich vor mir sah, nicht erwartet hatte. Die Nachricht war eindeutig. Viel eindeutiger, als wenn er meine Sachen nur vor die Zimmertür gestellt hätte.
Geh. Verlass nicht nur mein Zimmer, sondern die komplette Wohnung.
I ch wusste selbst nicht, warum mich die Geste so traf. Antriebslos wanderte mein Blick über mein im Treppenhaus verstreut liegendes Hab und Gut. Weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, griff ich nach meinem Handy. Es zeigte an, dass ich eine neue SMS erhalten hatte. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Leon.
Doch sie war nur von Daniel: Falls du noch lebst: Ich bin bei Miri, wir haben Stress. Sorry, lass uns dann morgen reden.
Erschöpft legte ich mein Handy neben mich auf den Boden. Leon hatte sich noch immer nicht gemeldet. Vielleicht war die ganze Sache für ihn wirklich erledigt. Und Daniel würde, so hatte es si ch zumindest angehört, die komplette Nacht wegbleiben.
Ich krabbelte auf allen Vieren zurück in den Wohnungsflur. Dort lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand und zog die Beine an. Ich spürte, wie Tränen hinter meinen Augen brannten und griff wieder zum Handy. Ich schrieb Elena. Die einzige Person außer Daniel, mit der ich gerade reden wollte.
Wie lange arbeitest du heute?
Die Minuten zogen sich endlos hin. Mir wurde klar, dass Elena wahrscheinlich noch im Buchladen an der Kasse stand und ihr Handy nicht bei sich hatte.
Ich drückte auf den Aus-Knopf un d warf mein Handy zu den anderen Dingen im Treppenhaus. Dann schob ich die Wohnungstür mit dem Fuß zu. Sie fiel mit einem lauten Klacken ins Schloss.
Erschöpft legte ich meine Arme auf die Knie und bettete meinen Kopf obenauf. Ich schloss die Augen. Was nun? Doch mir fehlte die Kraft, ernsthaft über diese Frage nachzudenken.
Plötzlich hörte ich Schritte. Erst dachte ich, da wäre jemand im Treppenhaus. Ich sollte meine Sachen wirklich nicht so offen da herum liegen lassen.
Dann bemerkte ich, dass die Schritte aus einer anderen Richtung kamen. Aus Felix’ Zimmer. Im nächsten Moment ging quietschend eine Tür auf. Ich schaute hoch und sah direkt in Felix’ überraschtes Gesicht. Wir starrten uns an. Er mit der Hand an der Türklinke, ich auf dem Flurboden kauernd.
Dann ging er mit regungslosem Gesicht an mir vorbei und verschwand ins Badezimmer.
Das war meine Chance! Ich könnte meine Sachen zusammenkramen und zurück in sein Zimmer flüchten. Meinem Verstand gefiel der Plan. Klar, dort war ich nicht willkommen. Aber ich war zumindest irgendwo. Doch mein Körper weigerte sich, mitzuspielen.
Da hörte ich auch schon die Klospülung und anschließend den Wasserhahn. Die Badezimmertür ging auf und Felix trat auf den Flur. Diesmal sah ich ihn nicht an, denn mein Körper verweigerte mir mittlerweile sogar die Kontrolle über meine Halsmuskulatur. Ich sah aber aus den Augenwinkeln, dass er kurz im Flur stehen blieb. Dann ging er zurück in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Es dauerte einen Moment, bis mir auffiel, dass etwas nicht stimmte. Und einen weiteren, bis mir klar wurde, was es war: Ich hatte Felix’ Zimmertür nichts ins Schloss fallen gehört. Ich hob den Kopf und sah genauer hin. Tatsächlich: Die Tür war nur angelehnt. Unentschlossen starrte ich auf den schmalen Spalt zwischen Tür und Rahmen. Das war nie und nimmer ein Versehen gewesen. Felix hatte die Tür absichtlich offen gelassen.
„Hast du jetzt Mitleid, oder was?“, rief ich trotzig in Richtung Türspalt.
„Mit dir? Mach dich nicht lächerlich.“ Ich hörte abermals seine Schritte. Hatte er es sich anders überlegt und wollte die Tür nun doch zumachen?
Ohne nachzudenken sprang ich auf , hastete zur Tür und riss sie nach außen auf.
Felix gefror in seinen Bewegungen. Dann zeigte er mir den Vogel, machte kehrt und ließ sich auf sein Bett fallen.
Ich beäugte ihn
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