Liebster Mitbewohner
hatte.
Sollte ich es riskieren? Während ich die Küche nach etwas Essbarem durchforstete, könnte Felix sein Zimmer komplett von innen abriegeln. Aber was hatte ich für eine Wahl? Im Gegensatz zu mir hatte Felix bestimmt gefrühstückt und würde diesen Stellungskrieg um einiges länger durchhalten.
Mein Magen knurrte laut und vernehmlich. Ich schielte zu Felix hinüber. Er grinste.
Geschlagen stand ich vom Sofa auf. Die erste Runde ging an ihn. Aber das hieß noch lange nicht, dass er den ganzen Kampf gewonnen hatte. Oder so ähnlich.
Ich verließ das Zimmer und zog die Tür hinter mir zu. Wo ich schon mal draußen war, konnte ich mich auch kurz mit Daniel unterhalten. Denn was ich mit ihm zu besprechen hatte, ging Felix nun wirklich nichts an.
Noch bevor ich in die Küche ging, klopfte ich an Daniels Zimmertür. Ich musste ihn auch fragen, ob er mir etwas Essbares borgen konnte. Daran hatte ich nicht gedacht, als ich wahllos Sachen in meinen Koffer geworfen hatte. Ach ja, und das Passwort fürs Internet wäre auch nicht schlecht.
Doch es kam keine Antwort. Ich klopfte noch einmal. „Daniel, ich bin’s!“ Ich wartete einen Moment. Wieder nichts. War er gegangen? Es sah ganz danach aus. Dabei hatte ich die Haustür gar nicht gehört.
Ich versuchte, die Enttäuschung nicht zu sehr an mich herankommen zu lassen. Trotzdem: Warum ging er einfach? Hätte er sich nicht denken können, dass ich noch mal mit ihm reden wollte? Was konnte so wichtig sein? In die Uni ging er nur sporadisch und die Bar, in der er arbeitete, öffnete erst abends. Ich stöhnte unwillig, als mir der wahrscheinlichste Grund für seine Abwesenheit einfiel: Miri, seine neue Freundin. Er hatte mir vor einigen Wochen, als sie zusammengekommen waren, von ihr erzählt. Danach hatten wir nur noch ein paar Mal telefoniert, weil Daniel ständig etwas mit Miri zu unternehmen schien. Ich freute mich für seine neue Liebe, wirklich. Und mir hatte es auch nichts ausgemacht, dass er seitdem nicht mehr so viel Zeit hatte. Aber jetzt war es etwas anderes. Für einen Freund nicht da zu sein, wenn dieser einen brauchte, ging meiner Meinung nach über das übliche Frisch-verliebt-sein-und-deshalb-kaum-Zeit-für-Freunde-haben hinaus.
Ich schlurfte in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Dann würde ich einfach nehmen, was ich fand. Seine eigene Schuld, wenn ich sein Essen wegaß. Er war schließlich nicht da.
Ich entdeckte zwei Eier, ein bisschen Wurst, Milch, die Reste einer Paprika, ein en Sixpack Bier, eine halbe Flasche Cola und eine Fertigsuppe – was hatte die überhaupt im Kühlschrank verloren?
Nach längerem Stöbern fand ich auch eine Pfanne, aber kein Öl. Doch es würde auch so gehen. Ich schlug die beiden Eier in die heiße Pfanne und verrührte sie zu Rührei. Dann schnitt ich noch Paprika und etwas Schinken hinein. Während das Rührei briet, durchsuchte ich Daniels Zimmer nach dem Internet-Passwort. Ich fand es auf den Boden der Schreibtisch-Schublade geklebt. Zumindest nahm ich an, dass die fünf wahllosen Wörter, die Daniel ohne weitere Erläuterungen auf diesen Zettel gekritzelt hatte, Passwörter waren. Und dass eines davon das des WLANs war. Ich riss den Zettel ab und steckte ihn in meine Jeanstasche. Als ich in die Küche zurückkam, war das Ei gerade so von flüssiger zu fester Form übergegangen. Ich nahm mir einen Löffel und aß direkt aus der Pfanne. Es schmeckte. Innerhalb einer halben Minute hatte ich alles herunter geschlungen. Ich goss mir ein Glas Cola ein, trank einen Schluck und schüttete den Rest weg. Das Zeug war mehr als abgestanden.
Gesättigt und bereit, den Kampf wieder aufzunehmen, ging ich zurück zu Felix’ Zimmer. Vor seiner Tür blieb ich stehen. Als ich die Hand auf die Klinke legte, hielt ich den Atem an. War sie noch offen? Oder hatte Felix die Gelegenheit genutzt, sich zu verbarrikadieren? Meinen Rucksack und meine Tasche hatte er jedenfalls nicht auf den Flur hinausgeworfen, also standen meine Chancen gut.
Ich drückte die Klinke hinunter. Oder zumindest wollte ich das, doch sie bewegte sich nicht. Felix musste von innen etwas darunter geklemmt haben.
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Was versprach sich Felix davon? „Was soll das?“, rief ich laut. „Denkst du allen Ernstes, ich gehe ohne meine Sachen?“
„Sieh nach draußen!“
Einen Moment lang dachte ich, er hätte mein Zeug einfach aus dem Fenster geworfen. Dann fiel mein Blick auf die Wohnungstür. Sie war nicht mehr zu, nur
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