Lied aus der Vergangenheit
zusammen mit ihrem Vater auf dem John-Deere-Traktor gesessen und Donuts gegessen hatte. Agnes umarmte Naasu und sagte, dass ihr Vater und ihre Schwestern tot waren, und durch ihre Wortwahl ließ sie Naasu glauben, sie seien alle im Lager gestorben. Naasu weinte. Isatta starrte sie an. So schön und gesund: Sie hatte Fleisch an den Armen, ihr Haar war schwarz, während Agnes’ und Isattas spröde und rot geworden war. So elegant gekleidet! Wie Naasu erklärte, hatte sie einen Mann kennengelernt, der angeboten hatte, für sie zu sorgen, und sie hatte ihn geheiratet. Sie bat ihre Mutter um Vergebung dafür, dass sie ohne ihre Erlaubnis geheiratet hatte, und Agnes verzieh ihr gern, denn ein guter Mann für Naasu war genau das, wofür sie gebetet hatte. Das zumindest war wahrhaft Gottes Wirken.
Dann lehnte sich Naasu hinüber, nahm die Hand ihrer Mutter und legte sie sich auf den Bauch. Agnes fühlte die Rundung des Unterleibs ihrer Tochter, und zum ersten Mal sah Isatta ihre Freundin weinen.
So verlief ihre Heimreise.
Der Marktplatz war wie ausgestorben, sie sahen niemanden. Viele Häuser waren verlassen, andere zerstört. Sie gingen zuerst zu Agnes’ Haus, und was Isatta sah, verschlug ihr die Sprache. Das Haus war gepflegt und frisch verputzt. Auf der Veranda standen Stühle, genau wie zwei Jahre zuvor. Das hatte alles ihr Mann gemacht, erklärte ihnen Naasu, während sie die Treppe hinauflief. Es war fast dunkel, und sie lud Isatta und ihren Sohn ein, mit ihnen zu essen und über Nacht zu bleiben. Da die Lebensmittel, die sie dabeigehabt hatten, aufgebraucht waren, nahm Isatta das Angebot an. Die drei warteten, während Naasu ihren Mann suchen ging. Isatta dachte an ihr eigenes Haus und fragte sich, in welchem Zustand sie es am nächsten Tag vorfinden würde. Sie freute sich für Agnes und beneidete sie gleichzeitig. Bald kam Naasu zurück, gefolgt von ihrem Ehemann. Naasu lächelte, ihre Haut leuchtete vor freudiger Erregung, als sie ihn nach vorne brachte, damit er ihre Mutter begrüßte. Der Mann trat aus dem Schatten der Dachtraufe in das wenige noch verbleibende Licht.
Die alte Frau verstummt. Ihre Augen sind nicht mehr auf Kai gerichtet, sondern abwärts, auf ihren Schoß. Er kann ihren Atem hören. Alles schweigt. Dann drängt sie jemand fortzufahren. Es ist Ishmails Tante. Die alte Frau sieht sie an und senkt den Blick dann wieder auf ihre Hände.
»Was haben Sie gesehen?«, fragt Kai, der den ganzen Abend nichts gesagt hat.
Sie schluckt, und ihre Stimme ist jetzt fast nur noch ein Flüstern. »Ich sah JaJa.«
Sie fahren durch die Dunkelheit. Abass hellwach, auf dem Beifahrersitz angeschnallt. Kai fährt ziemlich schnell, angetrieben von dem, was hinter ihm liegt, er verlangsamt nur für die grellen Lichter, die ihm aus der Dunkelheit entgegenschlagen.
Ishmail begleitete sie, als sie langsam durch dunkle Straßen zu Old Faithful zurückgingen. Kai schloss den Wagen auf, und Abass kletterte hinein. Kai wandte sich zu Ishmail und streckte die Hand aus. Automatisch schlossen sich ihre Hände umeinander, schnippten dann mit Daumen und Zeigefinger. Kai dankte ihm. Ishmail neigte den Kopf. Sie standen eine Zeit lang schweigend da, bis Ishmail seufzte und, als zöge er das Resümee einer gemeinsamen Betrachtung, sagte: »Da siehst du also, wie es um uns steht. Es ist Gottes Wille.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Fragst du mich an einem Tag, würde ich Nein sagen, das glaube ich nicht. Fragst du mich am nächsten Tag, nachdem diese Dinge passiert sind, wüsste ich nicht, was ich darauf antworten soll. Solche Dinge sind überall passiert, aus welchem Grund, kann ich dir nicht sagen.«
»Nein.« Kai seufzte und schüttelte den Kopf. »Keiner kann das.«
»Was bleibt uns also anderes übrig, als zu beten?«
Kai gab keine Antwort. Stattdessen umarmte er seinen Vetter, stieg in den Wagen und fuhr aus der Stadt hinaus.
Jetzt erinnert er sich, dass sie seit dem gegrillten Hühnerfleisch auf dem Markt nichts gegessen haben. Er hält an der nächsten Kreuzung und kauft vier geröstete Maiskolben. Sie fahren weiter.
»Besser?«, fragt er Abass.
Der Junge nickt. Seit sie die Stadt verlassen haben, hat er kein einziges Wort gesagt. Er hat nur dagesessen, wachsam und reglos, hat in die Dunkelheit vorausgestarrt und nicht einmal angesichts der entgegenkommenden Scheinwerfer geblinzelt.
»Dann hat der Mann also den Mann von der Frau umgebracht, und dann hat er ihre Tochter geheiratet«, sagt Abass.
Kai schont
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